Gewalt gegen Frauen in Indien: Hier spricht der Vergewaltiger

Ein zum Tode Verurteilter rechtfertigt in einem Film seine Tat. Der Film wird verboten – und die notwendige Debatte über Frauenrechte abgewürgt.

Gedenkveranstaltung für die Studentin, die an den Folgen einer Gruppenvergewaltigung starb. Bild: imago/Xinhua

Die brutale Vergewaltigung einer jungen Studentin in Delhi Ende 2012 lässt Indien nicht zur Ruhe kommen. Mehr als zwei Jahre nach der Tat hat eine britische Filmemacherin einen Dokumentarfilm über den Fall gedreht – und damit eine hitzige Debatte über den Umgang mit Tätern und Opfern ausgelöst.

Eigentlich sollte „India’s Daughter“ anlässlich des Weltfrauentages am Wochenende in mehreren Ländern gezeigt werden. Doch zumindest in Indien wird das nicht passieren. Innenminister Rajnath Singh und die Polizei haben die Ausstrahlung des Films gerichtlich verbieten lassen. Zur Begründung heißt es, einem verurteilten Verbrecher Sendezeit zu geben verstoße gegen das Gesetz. Die Ausstrahlung schüre lediglich Angst.

Für den Film hat die britische Regisseurin Leslee Udwin ein ausführliches Interview mit einem der zum Tode verurteilten Vergewaltiger geführt. Darin schiebt der Mann dem Opfer die Schuld für das Verbrechen zu: „Eine Frau trägt eine weitaus größere Verantwortung für eine Vergewaltigung als ein Mann“, sagt er. Von Reue keine Spur, vielmehr rechtfertig der Mann seine Tat. „Mit einer Hand kann man nicht klatschen – dazu braucht es zwei Hände.“

Die Studentin hätte „nicht abends um 21 Uhr herumstreunen“ sollen. „Mädchen sollten sich um den Haushalt kümmern und sich nicht in Discos und Bars herumtreiben.“ Zu guter Letzt behauptet der Vergewaltiger, die Studentin könnte noch am Leben sein, wenn sie sich nicht gewehrt hätte. „Sie hätte einfach ruhig sein sollen und die Vergewaltigung geschehen lassen. Dann hätten wir sie abgesetzt, nachdem wir mit ihr fertig waren.“ Es ist nur schwer zu erahnen, wie ein Vergewaltigungsopfer sich angesichts solcher Aussagen fühlen muss.

Äußerst seltene Interviewerlaubnis

Das Interview wurde mit offizieller Genehmigung im Hochsicherheitsgefängnis Tihar in Delhi geführt – ein äußerst seltener Vorgang. Innenminister Singh sagte am Mittwoch im Parlament, er werde nachforschen, wer die Erlaubnis für ein solches Interview erteilt habe, und versicherte, alles zu unternehmen, um die Ausstrahlung des Films zu verhindern.

Die Eltern der Studentin jedenfalls unterstützen die Dokumentation. Die Mutter sagte gegenüber dem indischen Fernsehsender NDTV, der Vergewaltiger fordere mit seinen Aussagen die indische Gesellschaft heraus. Er nenne den Vorgang, bei dem er die Eingeweide ihrer Tochter herausgerissen habe, einen „Unfall“. „Wenn er wegen eines solchen barbarischen Falls nicht gehängt wird, wird das die Gesellschaft zerstören.“

Die indische Frauenrechtlerin Ranjana Kumari hingegen lehnt es ab, den Film zu zeigen. „Dieser Film hilft uns Frauen nicht“, sagt die Leiterin des Centre for Social Research in Delhi. „Es ist voyeuristisch, einen Schwerverbrecher zu Wort kommen zu lassen, damit er seine brutale Tat vor Millionen Zuschauern im Fernsehen rechtfertigen kann.“ So etwas sei zutiefst erniedrigend und verletzend.

Kumari arbeitet seit vielen Jahren mit Vergewaltigungsopfern zusammen. Aus ihrer Sicht zeigt der Täter ein typisches Verhaltensmuster. „Seine Aussagen sind schockierend, aber nichts Neues. Auch ein Vergewaltiger in Amerika oder Europa versucht seine Tat zu rechtfertigen. Sie alle geben den Frauen die Schuld. Das ist abstoßend und hat im Fernsehen nichts zu suchen.“

In Indien ist eine hitzige Debatte entbrannt – leider über einen Film und nicht über das eigentliche Problem. Denn wer Frauen helfen will, muss die rückständige und vollkommen frauenverachtende Denkweise der Männer ändern. Dafür sollte den vorhandenen Gesetzen endlich Geltung verschafft werden. Worüber dieser Tage nämlich keiner spricht: Obwohl die Beweislage im vorliegenden Fall absolut eindeutig ist, ist auch zwei Jahre nach der Tat das Verfahrung noch immer vor den Gerichten anhängig.

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