EU-Plan zur Seenotrettung: Mit Waffen gegen Schlepper

Sicher ist: Frontex soll mehr Geld bekommen. Ansonsten bleibt der Zehn-Punkte-Plan der EU zur Flüchtlingsrettung schwammig.

Gerettete Flüchtlinge im italienischen Corigliano. Bild: dpa

BERLIN/BRÜSSEL taz | Die EU-Grenzschutzagentur selbst hat immer wieder klargestellt, wofür sie sich verantwortlich fühlt – und wofür nicht: „Frontex ist für die Überwachung der Grenzen zuständig und hat nicht den Auftrag, Flüchtlinge zu retten“, sagte ihr Vizedirektor Gil Arias vor einigen Monaten im Tagesspiegel. Da war gerade die italienische Seenotrettungsmission Mare Nostrum im zentralen Mittelmeer eingestellt worden. Dafür startete Frontex das Programm Triton, das „Mare Nostrum weder ganz noch teilweise ersetzen“ werde, wie Arias damals sagte. Seine Behörde könne lediglich auf die unmittelbaren EU-Küstengewässer schauen.

Nun ist alles anders. Nach der dramatischen Eskalation der Schiffskatastrophen hat die EU-Kommission einen Zehn-Punkte-Plan präsentiert. Am Donnerstag soll er bei einem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs beschlossen werden. „Der Status quo ist keine Option“, so EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, Europa müsse „alles tun“, um weitere Opfer zu verhindern. Kurz zuvor hatte der Verband Deutscher Reeder Hilfe von Merkel gefordert: „Unsere Besatzungen sehen die Menschen sterben, sie ertrinken vor unseren Augen oder erfrieren an Bord“, schrieben sie der Kanzlerin.

Kern des EU-Pakets: Frontex bekommt mehr Geld und Schiffe, um Triton und das Grenzschutzprojekt Poseidon auszuweiten. Welche Länder diese Schiffe stellen sollen, ist offen, Frontex hat so gut wie keine eigenen Boote. Zudem, so die EU-Kommission, „könnte“ das Gebiet, auf dem die Schiffe unterwegs sind, vergrößert werden.

Die Frage ist: Wie weit? Italien konnte mit Mare Nostrum deshalb so viele Menschenleben retten, weil es seine Marine bis kurz vor Nordafrika schickte. Es war der Frontex-Operativdirektor Klaus Rösler, der die italienische Regierung am 10. Dezember per Brief aufforderte, ebendies bleiben zu lassen. Etwas verklausuliert forderte er das Innenministerium auf, keinen Notrufen außerhalb der 30-Meilen-Zone mehr nachzukommen.

Stattdessen solle die libysche Küstenwache ausrücken. Erst kurz zuvor hatte Frontex in einem Konzeptpapier festgestellt, dass Rettungseinsätze nahe Libyen Flüchtlinge und MigrantInnen „ermutigen“ würden, die Überfahrt anzutreten. In der Frontex-Logik ist das folgerichtig: Denn die Behörde ist nun mal dafür da, irreguläre Grenzübertritte zu verhindern.

Lediglich ein „freiwilliges Pilotprojekt“

Wird also jetzt der Bock zum Gärtner gemacht? „Die Verstärkung der Frontex-Missionen ist dann richtig, wenn auch das Operationsgebiet vergrößert wird“, sagt Vincent Cochetel vom UN-Flüchtlingswerk in Genf. „Aber werden die Boote auch bis in libysche Gewässer operieren?“ Insgesamt wertet Cochetel das Papier eher positiv: „Einige Sorgen, die wir zum Ausdruck gebracht haben und Vorschläge, die wir gemacht haben, finden sich darin wieder“, sagt er.

Italien und andere südeuropäische Staaten verlangen, dass die geretteten Flüchtlinge nicht nur ihnen aufgebürdet werden. Eine ganze Reihe von EU-Staaten nimmt praktisch gar keine Flüchtlinge auf. Doch einen Vorstoß für einen europäischen Verteilungsschlüssel unternimmt die Kommission auch jetzt nicht. In ihrem Zehn-Punkte Plan findet sich lediglich ein „freiwilliges Pilotprojekt zur Verteilung von Flüchtlingen“. In einem ersten Schritt könnte dies 5.000 Plätze für schutzbedürftige Personen bieten – das wäre etwa ein Prozent der im vergangenen Jahr in der EU Angekommenen. Wer die 5.000 Umzuverteilenden nach welchen Kriterien aussuchen soll, lässt das Kommissionspapier offen.

Weiterhin sollen „Möglichkeiten ausgelotet werden, ob Flüchtlinge im Notfall über einen Sondermechanismus verteilt werden können“. Dem Vernehmen nach ist hierbei vor allem an SyrerInnen in Italien und Griechenland gedacht. Dorthin soll das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) Teams schicken, um Asylanträge schnell zu bearbeiten. Derzeit warten Antragsteller in diesen Ländern bis zu drei Jahre auf eine Entscheidung.

Die meisten aber stellen erst gar keinen Asylantrag, sondern gehen als irreguläre Migranten weiter – nach Zentral- und Nordeuropa, wo sie nicht bleiben dürfen. Offen ist, ob dieser neue „Sondermechanismus“ mit den 5.000 Plätzen aus dem freiwilligen Kontingent zusammenfällt – und wer entscheidet, ob ein „Notfall“ vorliegt. Das grundsätzliche Problem der extrem ungleichen Lastenverteilung innerhalb der EU bleibt bestehen.

Schleuser-Schiffe zerstören

Deutlich entschiedener will die EU hingegen in Sachen Schlepperbekämpfung zu Werke gehen: mit Waffengewalt. Dazu muss es am Donnerstag einen Beschluss der Regierungschefs geben. Offenbar sollen vor allem Schiffe von Schleuserbanden zerstört werden. Als Vorbild für eine mögliche Militäroperation hatte die EU-Kommission den Anti-Piraten-Einsatz Atalanta am Horn von Afrika genannt.

Die daran beteiligten Einheiten hatten unter anderem die Befugnis, an Stränden gelegene Piratenlager anzugreifen. Unklar ist nicht nur, wie ein vergleichbares Vorgehen im Fall der libyschen Schlepperbanden überhaupt aussehen und völkerrechtlich begründet werden könnte, sondern auch, was mit den Flüchtlingen geschehen soll, die sich dann im zerfallenden Libyen aufstauen würden.

„Die Mitgliedstaaten drücken sich davor, das Problem bei den Wurzeln zu packen“, sagt die grüne EU-Abgeordnete Ska Keller. Die EU müsse auch dafür sorgen, dass Schutzsuchende „nicht mehr auf den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer gezwungen werden“. Sie verwies auf die derzeit laufenden Verhandlungen zum europäischen Visa-Kodex. Dabei müsse auch über humanitäre Einreiseerlaubnisse für Flüchtlinge geredet werden.

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