: Kein Sieg der Frechheit
■ BGH-Urteil über das AKW Mülheim-Kärlich
Sieben Milliarden Mark möchte der Energiekonzern RWE gerne vom Land Rheinland-Pfalz. RWE jammert, weil sein Atomkraftwerk in Mülheim-Kärlich seit Inbetriebnahme nur ganze elf Monate Strom geliefert hat. Wahrscheinlich wird es nie mehr ans Netz gehen. Die Baukosten könnte RWE dann in den Wind schreiben – oder sich von Rheinland-Pfalz erstatten lassen.
Jawohl: RWE will Schadenersatz, weil das Land ein RWE-AKW genehmigt hat. Denn die Genehmigung war rechtswidrig. Und hätte man das von vornherein gewußt, hätte man natürlich nicht unnötig Milliarden in den Sand gesetzt, sagt RWE. Auf den ersten Blick klingt das nachvollziehbar. Dreist ist die RWE-Logik aber deshalb, weil der Stromkonzern keineswegs unschuldig in den Schlamassel schlidderte. Um schneller bauen zu können, wurden Änderungen an den Bauplänen mit den Landesbehörden ausgekungelt, ohne sie öffentlich zu machen. Genehmigt wurde 1975 dann ein AKW, das in dieser Form gar nicht mehr geplant war.
Wenn RWE mit seiner tolldreisten Strategie Erfolg hätte, könnte bei umstrittenen Großprojekten künftig so vorgegangen werden: Mit der Drohung, daß Arbeitsplätze und Steuereinnahmen sonst andernorts entstehen, werden die staatlichen Behörden zur Mißachtung gesetzlicher Vorschriften gebracht. Segnen die Gerichte die Mauscheleien ab, hat sich die Operation gelohnt. Wird das Projekt aber von der Rechtsprechung blockiert, dann können die entstandenen Kosten dem Staat aufgebürdet werden – weil dieser eine rechtswidrige Genehmigung erteilt hat.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dieser Strategie gestern im Ansatz einen Riegel vorgeschoben. Für die ersten zwei Jahre nach der Genehmigung bekommt RWE keinen Pfennig, denn wer selbst mauschelt, kann sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Für die Zeit nach 1977 hat sich der BGH aber bedeckt gehalten, weil hier durch neue Teilgenehmigungen vielleicht echtes Vertrauen geschaffen worden sei. Auch damit sollte RWE nicht durchkommen. Schließlich gehörte es mit zur Mauschellogik, daß die rechtswidrige Genehmigung später – nach Baubeginn – korrigiert werden würde. Was soll der Staat, wenn er sich auf das Spiel erst einmal eingelassen hat, auch anderes machen? Christian Rath
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