Kohl legt drauf, Kumpel rücken ab

■ Keine betriebsbedingten Kündigungen in den Steinkohlezechen. Der Bund zahlt etwas mehr Subventionen und kann dafür endlich die Saarbergwerke an die Ruhrkohle AG verkaufen. Bergarbeiter ziehen wieder nach Hause

Bonn/Köln (taz/AP) – „Sieg! Sieg!“ rufen die 6.000 Kumpel von der Saar. Verstärkt um 1.500 Motorrad-Biker von der Ruhr, erfahren sie vor dem Müngersdorfer Stadion in Köln die Ergebnisse der Kohlegespräche ihres Gewerkschaftsführers Hans Berger mit Bundeskanzler Helmut Kohl. Als ihnen Funktionäre der IG Bergbau und Energie die Einzelheiten der Einigung erklären, klatschen die Bergleute demonstrativ Beifall. Gerd Zibell, IG-Bergbau-Chef an der Saar, ruft unter dem Jubel der Kumpel: „Der Kampf hat sich gelohnt, wir haben ein Ergebnis erzielt, auf das wir stolz sein können.“ Schließlich ruft Zibell den Versammelten, die seit Mittwoch nachmittag auf der Liegewiese des Schwimmstadions campiert hatten, zu: „Nun packt eure Sachen und fahrt heim. Ab morgen schaffen wir wieder.“

Das Ergebnis der Verhandlungen zwischen Bund, Ländern und Gewerkschaften: Die Bundesregierung, Nordrhein- Westfalen und der Arbeitgeber Ruhrkohle AG legen noch ein wenig drauf. Das Fazit der Experten: Massenentlassungen finden zwar nicht statt, doch gilt das Ende des deutschen Steinkohlebergbaus binnen der nächsten Jahrzehnte als sicher.

Auf den ersten Blick war kaum zu verstehen, daß die auf Druck des Kanzlers nach Köln abgeschobenen Kumpel nicht wieder nach Bonn marschierten, sondern den Kompromiß begrüßten: Es blieb bei der „Reizzahl“ von nur 3,8 Milliarden Mark an Bundesmitteln für die Absatzhilfen des Jahres 2005, und die Anzahl der Beschäftigten wird von heute knapp 90.000 auf nur noch 45.000 verringert und damit schneller reduziert als jemals zuvor seit Beginn der Bergbauschrumpfung. Keiner weiß, wie es nach 2005 weitergeht. Jeder ahnt: Der Abbau geht weiter.

Auf den zweiten Blick wird freilich deutlich, daß die Demonstrationen etwas bewegt haben. Es werden zunächst nicht sieben, sondern nur vier Zechen stillgelegt, der Bund packt mit 1,65 Milliarden Mark im Jahresdurchschnitt bis 2005 noch einmal mehr als 200 Millionen Mark drauf, Nordrhein-Westfalen erhöht seinen Beihilfeanteil um 140 Millionen auf jährlich eine Milliarde. Die Bergwerksunternehmen haben sich verpflichtet, aus ihren kohlefremden Unternehmensgewinnen jährlich 200 Millionen Mark beizusteuern.

Freilich war der Bund bei den Verhandlungen nicht so uneigennützig, wie die nackte Zahl von 1,65 Milliarden Mark es vermuten ließe. Voraussetzung für die höheren Beihilfen ist, daß die Saarbergwerke AG, die zu 74 Prozent dem Bund gehört, vollständig von der Ruhrkohle AG übernommen wird. Das könnte viel Geld in die Bundeskasse bringen: Der von Finanzminister Theo Waigel 1996 vorgelegte Beteiligungsbericht weist aus, daß der Bundesanteil an der Saarbergwerke AG mit knapp 430 Millionen Mark bewertet wird.

Unterm Strich werden die Absatzhilfen von Bund und Land sanfter zurückgefahren, als die Bergleute noch vor einer Woche befürchtet hatten. Nämlich von 1997 knapp neun Milliarden Mark auf 5,5 Milliarden Mark im Jahr 2005. Bei aller Sozialverträglichkeit findet der Subventionsabbau dennoch immer schneller statt.

Nur wenige Stunden nach dem Kohlekompromiß hat sich die SPD bereiterklärt, die Steuergespräche mit der Koalition fortzusetzen. Parteichef Lafontaine erklärte, er stehe „jederzeit zur Verfügung“, wenn Bundeskanzler Kohl mit ihm eine Reform erörtern wolle, „die zu Steuerentlastungen für Arbeitnehmer und Familien zum 1. Januar 1998 und zu einer spürbaren Senkung der Sozialabgaben“ führe. Zugleich nannte Lafontaine die bisherigen Vorstellungen der Koalition wegen einer ungedeckten Finanzierungslücke von 44 Milliarden Mark „unseriös“. rem/bg

Tagesthema Seite 3