: In der Inneren Sicherheit punktet die SPD
■ In Umrissen zeichnet sich nach den Koalitionsverhandlungen ab, daß die SPD sich beim Thema Innere Sicherheit mit ihren Konzepten weitgehend durchgesetzt hat. Der Große Lauschangriff bleibt. Kritik
Berlin (taz) – Im Bereich Innere Sicherheit haben die Grünen als kleinerer Koalitionspartner erwartungsgemäß den kürzeren gezogen.
Bei den Verhandlungen mit der SPD bis zum frühen Mittwoch abend errang der designierte Bundesinnenminister Otto Schily und die sozialdemokratische Verhandlungsführerin Herta Däubler- Gmelin einen klaren Punktsieg.
Vor allem die von den Bündnisgrünen gewünschte Änderung des Grundgesetzartikels zur Unverletzlichkeit der Wohnung (Großer Lauschangriff), der vor wenigen Monaten mit den Stimmen der SPD im Bundestag verabschiedet worden war, wird nicht wieder rückgängig gemacht.
Dazu wäre allerdings auch eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig gewesen – ein Vorhaben, das in weiten Teilen der Grünen für illusorisch gehalten wurde. Festgehalten werden soll aber dem Vernehmen nach an den im Ausführungsgesetz enthaltenen Ausnahmeregelungen für jene Berufsgruppen, die ein Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nehmen können.
Das Abhören von Ärzten, Hebammen, Rechtsanwälten, Strafverteidigern, Pfarrern, Priestern und Journalisten wird also auch weiterhin nicht erlaubt sein.
Gestern nachmittag allerdings waren die von den Koalitionären vereinbarten Punkte noch nicht alle in endgültiger Form zu Papier gebracht. Im Umrissen war aber schon am Abend zuvor klar geworden, daß die Grünen beim Themenkomplex Innere Sicherheit gründlich zurückstecken mußten.
Eine Abschaffung der Geheimdienste – wie es der linke Flügel der Partei im Wahlprogramm durchgesetzt hatte – lehnte Schily ebenso ab wie eine Verkleinerung der Dienste. Diese Position hatte der ehemalige Grünen-Politiker bereits vor der Bundestagswahl verdeutlicht.
Am Mittwoch hatte Schily zudem erklärt, die neue Bundesregierung werde dafür sorgen, daß die Institutionen der staatlichen Sicherheitspolitik wie etwa das Bundeskriminalamt und der Bundesgrenzschutz mit genügenden finanziellen Mitteln ausgestattet würden. Allgemein einigten sich Bündnisgrüne und SPD darauf, die Ursachen der Kriminalität stärker zu bekämpfen. Nicht aufgenommen wurde die grüne Forderung, sogenannte Bagatelldelikte wie das Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmitteln und den Ladendiebstahl nicht mehr zu bestrafen. Statt dessen sollen derartige Delikte nun „konsequent, aber unbürokratisch“ mit Strafgeldern belegt werden. Auf den Apparat der Justiz in den Ländern und im Bund werden unter der neuen rot-grünen Bundesregierung einschneidende organisatorische Neuerungen zukommen. Die Zahl der Gerichtsinstanzen soll von vier (in Bayern sind es fünf) auf drei verringert werden. Im Gegensatz zur heutigen Praxis soll es in Straf- und Zivilgerichtsverfahren nur noch ein Eingangsgericht geben. Die zweite Instanz wird in Zukunft die Aufgabe haben, Rechtsfehler zu korrigieren. In der dritten Instanz sollen schließlich die Bundesgerichte für Grundsatzentscheidungen zuständig sein. Verbunden mit der Reform sind auch Änderungen im Besoldungsrecht der Richter und der Juristenausbildung.
Enttäuscht über die Ergebnisse zum Asylrecht zeigte sich gestern die Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl (siehe auch Tagesthema Seite 3). Besonders harsch kritisierte sie den Umstand, daß sich beide Verhandlungspartner noch nicht einmal auf eine Härtefallregelung für umstrittene Einzelfälle im Ausländergesetz einigen konnten. Das geltende Ausländerrecht führe nicht nur bei Flüchtlingen immer wieder zu menschlichen Härten und Tragödien, so Pro-Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann gestern. Ungenügend sei auch die nun von SPD und Grünen versprochene Überprüfung des umstrittenen Flughafenverfahrens – die Festsetzung von Asylbewerbern aus sogenannten sicheren Drittländern. Diese Praxis will Rot-Grün nun unter dem Gesichtspunkt der „Verhältnismäßigkeit“ untersuchen. Severin Weiland
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