Mehr Selbstbewußtsein!

■ Die Grünen wollen die Kontinuität deutscher Außenpolitik wahren. Wäre es nicht besser, wenn Kinkel dann auch Außenminister bliebe?

Dem designierten Außenminister Joschka Fischer und seiner Partei ist noch einmal eine kurze Pause zum Atemholen vergönnt, vielleicht auch nur zum Luftschnappen. Die Vereinbarung zwischen Richard Holbrooke und Slobodan Milosevic über den Kosovo macht die heutige Abstimmung im Bundestag über eine deutsche Beteiligung an einem Nato-Einsatz weniger folgenschwer als zunächst erwartet. Immerhin scheint die unmittelbare Kriegsgefahr zunächst gebannt.

Die neue Koalition kann nun eine eigene Haltung zu einem Problem entwickeln, bei dem sie durch die Entwicklung schon vor ihrer Amtsübernahme in Zugzwang gebracht zu werden schien. Einfach wird das nicht werden, denn die grundsätzlichen Fragen sind durch das Kosovo-Abkommen nicht gelöst. Eigentlich müßte auch der SPD eine Zerreißprobe bevorstehen, denn sie bezeichnet in ihrem Wahlprogramm ein UNO- oder OSZE-Mandat als Voraussetzung für die Beteiligung der Bundeswehr an einer Friedensmission. Aber Gerhard Schröder und sein Verteidigungsminister Rudolf Scharping haben schon vor den Wahlen deutlich gemacht, daß sie sich im Zusammenhang mit dem Kosovo darüber hinwegzusetzen bereit sind. Teile der Fraktion werden ein wenig maulen, ernsthafter Widerstand ist angesichts der hierarchischen Hackordnung aber nicht zu erwarten.

So einfach verläuft die Meinungsbildung bei den Bündnisgrünen nicht. In den letzten Monaten haben Vertreter aller Strömungen zu außenpolitischen Themen beredt geschwiegen. Beseelt von dem Wunsch, Ängste vor einer rot-grünen Koalition abzubauen, haben sie im Wahlkampf allenfalls die Notwendigkeit der Kontinuität von deutscher Außenpolitik betont. Sehr schön. Die Botschaft ist angekommen. Aber allmählich sollten nun auch wieder eigene Positionen deutlich werden. Kontinuität allein ist noch kein außenpolitisches Konzept. Wäre es anders, so müßte Klaus Kinkel dringend von der rot-grünen Koalition gebeten werden, den Job als Außenminister weiterzumachen.

Was bedeutet denn überhaupt Kontinuität? Noch vor sechs Monaten hätte nur jemand am äußersten Rand des politischen Spektrums einen Nato-Angriff auf irgendein Land ohne entsprechendes UN-Mandat befürworten können. Kinkel steht dieser Möglichkeit noch heute skeptisch gegenüber. Unter diesen Umständen scheint Kontinuität doch ein zumindest schillernder Begriff zu sein, und der Regierung Kohl würde mit der Unterstellung bitter unrecht getan, sie habe kontinuierlich das Völkerrecht mißachtet.

Ein Nato-Einsatz im Kosovo ohne UN-Auftrag widerspricht internationalem Recht. Wahr ist aber zugleich, daß angesichts der erforderlichen Einstimmigkeit bei Entscheidungen des Weltsicherheitsrats Staaten wie Rußland und China die gesamte Völkergemeinschaft zur vollständigen Untätigkeit verurteilen können, auch unterhalb der Stufe militärischer Interventionen. Das ist angesichts von Menschenrechtsverletzungen und Flüchtlingselend ein unhaltbarer Zustand. Die entscheidende Frage ist jedoch nicht, ob einem Bruch des Völkerrechts kurzfristiger Erfolg beschieden sein kann, sondern ob der politische Wille besteht, internationale Vereinbarungen zu ändern.

Wer sich heute der normativen Kraft des Faktischen entgegenstellt und die Zwangsläufigkeit politischer Entscheidungen in Zweifel zieht, ist in der Defensive. Alternative Szenarien zur militärischen Drohkulisse werden stets an der Forderung gemessen, diese hätten gefälligst wasserdicht zu sein und allen Eventualitäten standzuhalten. Als ob eine derartige Bedingung in einer komplexen Situation jemals erfüllbar wäre. Die Nato hat bis heute kein definiertes Kriegsziel bei möglichen Luftangriffen gegen Jugoslawien.

Nun läßt sich einwenden, die Entwicklung gebe doch all denen recht, die auf eine militärische Lösung gesetzt haben. Allein die Furcht vor einem Angriff habe Milosevic schließlich zum Nachgeben veranlaßt. Das ist eine kurzsichtige Betrachtungsweise. Das Recht des Stärkeren allein kann heute nicht normative Kraft gewinnen. Im Zeitalter der Atombombe ist dafür niemand mächtig genug. Gültiges Recht mag zutiefst unbefriedigend sein. Aber es gibt dafür keinen Ersatz. Es läßt sich nur ändern, nicht übergehen, wenn Politik berechenbar bleiben soll. Andernfalls verlieren übrigens auch Institutionen wie der Internationale Gerichtshof jede Bedeutung.

Wer immer derzeit Vorschläge macht, die auf einen Umbau internationaler Organisationen abzielen, muß sich den Vorwurf politischer Naivität gefallen lassen. Forderungen nach ziviler Konfliktprävention, nach einer tiefgreifenden Veränderung der UNO-Struktur, nach einer Abkehr vom Prinzip der Einstimmigkeit im Weltsicherheitsrat und nach einer Stärkung und Reform der OSZE werden von deutschen Außen- und Sicherheitspolitikern über Parteigrenzen hinweg mit dem lakonischen Verdikt belegt, diese seien ohnehin nicht durchsetzbar. Wie kleinmütig! Ein führendes Industrieland in Europa sollte keinen anderen Weg als den militärischen sehen, um international Einfluß zu nehmen? Joschka Fischer ist in diesem Zusammenhang Phantasie und Selbstbewußtsein zu wünschen.

Man stelle sich einmal vor, die grüne Parteilinke hätten die jetzt ausgehandelten 2.000 Beobachter der OSZE für die Beendigung der Krise im Kosovo gefordert. Spöttisches Gelächter wäre die vorhersehbare Reaktion gewesen. Nun ist aber Holbrooke eben kein Bündnisgrüner, und natürlich geht es im Kosovo-Konflikt auch um die zentrale Frage, welche Aufgabe die USA in Europa künftig zu erfüllen bereit sind. Es ist nachvollziehbar, daß sie nicht weiter die Rolle der Weltpolizei spielen wollen, wenn sie gleichzeitig daran gehindert werden, so zu handeln, wie es ihnen notwendig erscheint.

Europäische Regierungen, auch die deutsche, sind dennoch schlecht beraten, wenn sie als Konsequenz aus diesem Dilemma Vorgaben aus Washington ohne Rücksicht auf globale Abkommen einfach nur erfüllen. Es muß vielmehr darum gehen, gemeinsam einen Weg zu finden, wie internationale Organisationen und Völkerrecht so gestaltet werden können, daß sie einerseits den Interessen der letzten verbliebenen Weltmacht gerecht werden, andererseits aber weiter einen verbindlichen Handlungsrahmen für Außenpolitik darstellen. Wenn Joschka Fischer dazu etwas einfällt, kann er sich historische Verdienste erwerben. Und den strömungsübergreifenden Beifall seiner Partei. Bettina Gaus