: Er kannte keine Überhastung“
NEUE TAZ-SERIE: DIE SPIELER DES JAHRHUNDERTS. FOLGE 1: DIE 10ER-JAHRE – Adolf Jäger, in der Jugend unübertroffen im Schlagballweitwurf, dann Stürmergenie mit dem „linealgeraden, reißbrettexakten Pass“ ■ Von Eduard Hoffmann
Die erste Urkunde bringt er 1902 nach Hause. Da ist Adolf Jäger, Sohn eines Eimsbütteler Schuhhändlers, gerade mal 13 Jahre alt. 86 Meter weit hatte er den Schlagball geschleudert und war Hamburger Meister geworden. Das außerordentliche Schlagballtalent ist unverkennbar. Aber Jäger spielt auch leidenschaftlich gern Fußball. Und so ist es kein Wunder, dass das junge Sportlerherz hin- und hergerissen ist zwischen Werfer- und Kickerkarriere.
Zu dieser Zeit wird das Fußballspiel in Deutschland vielerorts noch als „Fußlümmelei“ beschimpft. Schüler müssen mit Verweis von der Lehranstalt rechnen, wenn sie nach einem Ball treten. In Jägers Hamburger Heimat aber ist der junge Mannschaftssport geradezu etabliert: Schon 1887 hatte sich mit dem SC Germania der erste Fußball-Club in der Hansestadt gegründet. 1896 wird bereits eine Hamburger Fußballmeisterschaft ausgetragen.
Adolf Jäger entscheidet sich, die Fußballstiefel zu schnüren – zunächst für den SC Germania, ab 1903 für den Fußball-Club Union. Vier Jahre später, Weihnachten 1907, spielt der gerade 18-jährige Stürmer Jäger zum ersten Mal für den bekannten Altonaer Fußball-Club (später Altona 93). Eine erfolgreiche Premiere war es nicht. 2:4 verlor Altona an diesem Tag gegen die „Dordrechter Foetball-Veereenigung Holland“.
Dennoch sorgte der neue Angreifer für große Aufmerksamkeit. Seine ausgefeilte Technik, das millimetergenaue Zuspiel sowie eine große Spielübersicht sind ungewöhnlich. Und sie lassen staunen. Der spätere Reichstrainer Otto Nerz wird ihn schlicht als „Genie“ preisen: „Dies, weil Jäger den linealgeraden, reißbrettexakten Pass an den Flügel ebenso selbstverständlich beherrschte wie den kurzen zu den Neben- und Hinterleuten. Seine hohe Figur ließ ihn Kopfbälle meistern, bei Eckbällen war er die stete Riesengefahr für den Torwart, sein Schuss kam satt und wuchtig, er kannte keine Überhastung, keinen Egoismus, aber auch kein Abschieben der Schussverantwortung an andere.“ Keine Frage, der Mann musste in die Nationalmannschaft.
Am 7. Juni 1908, im dritten Spiel der frisch zusammengewürfelten deutschen Elf überhaupt, ist Adolf Jäger erstmals dabei. In Wien verliert das Team gegen Österreich 2:3, aber Talent Jäger trifft einmal. International kann die junge deutsche Auswahl ohnehin kaum mithalten. Selten werden die leistungsstärksten Spieler berufen. Regionale Verbandsinteressen bestimmen die Aufstellung nach dem Motto: Wenn der Berliner Verband zwei Spieler abstellt, dann müssen die Süddeutschen drei abstellen und die Hamburger auch mindestens einen.
Pikanterweise trägt der Erste Weltkrieg zur Popularisierung des Fußballsports bei. Kein Zufall: Soldatische Tugenden wie Ausdauer, Kampfkraft, Entschlossenheit sowie truppen- bzw. mannschaftsdienliches Verhalten werden schließlich auch von Fußballern erwartet. Fußball gilt als Ertüchtigungsspiel für Frontsoldaten. „Meine Leute, die durch Schützengrabendienst steif und schwerfällig geworden sind, habe ich fleißig Fußball spielen lassen“, erklärt 1915 begeistert ein Major von Heygendorff. „Die Leute verjüngten sich zusehends, wurden elastisch, lustig und konnten gar nicht genug spielen.“
Adolf Jäger selbst war, soweit bekannt, nicht an der Front. Ranghohe, hurrapatriotisch gestimmte Vertreter des DFB preisen das Fußballspiel derweil als „maßgebliche militärische Vorbereitung der Jugend“. Während des Krieges wurden alle Länderspiele abgesagt. Ersatzweise wird der Erste Weltkrieg im DFB-Organ Neue Sportwoche als „Riesenländerspiel“ bezeichnet. Fußball gilt als „eine der besten, der segensreichsten Betätigungen zum Heile der Wehrfähigkeit unserer Nation“.
Auf die Idee kamen auch andere: Als am 1. Juli 1916 das englische East Surrey Regiment in Nordfrankreich lauthals zum Sturmangriff schreitet, lässt Captain Neville seine Männer dabei vier Fußbälle vor sich herdribbeln. Wer von ihnen als Erster einen Ball im feindlichen Schützengraben versenkt, soll einen Preis erhalten. Captain Neville und die meisten seiner Männer fallen bei der Attacke. Im verlassenen Schützengraben der Deutschen werden später zwei Fußbälle gefunden.
Zwischen 1914 und 1917 spielt Adolf Jäger in der norddeutschen Auswahl, deren Trikot er 50-mal trug, um den Kronprinzenpokal (was man heute vielleicht als teileuropäische Champions League bezeichnen darf). Er führt den Altonaer Fußball-Club zweimal zur norddeutschen Meisterschaft und nimmt 1912 mit der deutschen Elf am olympischen Fußballturnier in Schweden teil. In seinen 18 Länderspielen vermag der schnauzbärtige Hanseat nur drei Siege zu feiern, trifft aber elfmal und wird mit der Adlerplakette des Reichsbundes für Leibesübungen geehrt. Insgesamt 16 Jahre lang zählt Adolf Jäger zum Nationalkader; ein Rekord, den erst Fritz Walter 1958 übertreffen sollte.
Später tauften die Altonaer ihr Stadion zu Ehren des Stürmerstars „Adolf Jäger Kampfbahn“. Ob Adolf Jäger jemals wieder einen Schlagball 86 Meter weit warf, ist nicht überliefert. Wohl aber, dass er am 21. 11. 1944 an der Heimatfront starb: beim Entschärfen einer Fliegerbombe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen