Modernes Antiquariat
: Instinktiv dagegen

■ Umherschweifender Lieblingsrebell: Vor 24 Jahren erschien Bommi Baumanns Entwicklungsroman „Wie alles anfing“

Vor dem Boom war auch schon Boom: Wir stellen in unregelmäßiger Reihenfolge Berlin-Romane vor, die vor 1989 erschienen sind.

Ende der Siebziger, kurz bevor die grün-alternativen Listen die Reste der Neuen Linken in Deutschland sammelten, versuchte man sich gerade in den kleineren Städten als irgendwie linker Schüler mit Büchern zu orientieren, die damals noch entscheidende Bedeutung hatten. Im Umfeld des Deutschen Herbstes war die Erinnerung an 68 zwar immer noch sehr präsent. Andererseits gab es kaum Bücher, die authentisch von 68 und den Folgen, von den Anfängen einer bundesdeutschen Subkultur, von der RAF oder dem 2. Juni berichten konnten. Und an die, die es gab, war nicht ganz einfach heranzukommen.

Der komplizierte Weg zum Buch steigerte die Bedeutung, die man ihm zumaß, ganz enorm. Es sollte – wie die so genannte Gegenbuchmesse – von einer unterdrückten anderen Gesellschaft künden und eine vertrauliche Nachricht an die sein, die jenseits des so genannten Systems nach anderem suchten. Bommi Baumanns „Wie alles anfing“ war Aufruf an ehemalige Genossen, die Knarre wegzuschmeißen und beispielgebende Lebensgeschichte.

Weil er nicht studierte, galt Baumann im Umfeld von 68 als Vorzeigeproletarier. „Wie alles anfing“ folgt eigentlich den Mustern des klassischen Bildungsromans. Der Dokumentarfilmer Haroun Farocki hatte das Buch auf Grund von Tonbandinterviews zusammengestellt, die er mit dem Ex-Terroristen auf dessen Flucht geführt hatte. Das im Herbst 1975 erschienene und im Winter des gleichen Jahres verbotene Buch erzählt von einem Emanzipationsprozess: Am Anfang steht der junge Lehrling, der eine „instinktive Abneigung“ gegen die Gesellschaft hat. Seine diffuse Abneigung konkretisiert sich über unmittelbare Erfahrungen von Langhaarigen: „Die ham uns aus Kneipen rausgeschmissen, auf der Straße angespuckt . . .“

Über Rockmusik und die Anfänge der Drogensubkultur führte Baumanns Weg in den Widerstand – von den Kämpfen des noch halbwegs hedonistischen „Zentralrats der umherschweifenden Haschrebellen“ über erste Kommunen zum bewaffneten Kampf des „2. Juni“. Nachdem Baumanns bester Freund Georg von Rauch von Polizisten erschossen worden war, distanzierte er sich vom Terrorismus, predigte im letzten Kapitel die Kraft der Liebe und zog als Drogenfreund durch Asien.

Das Buch wurde wegen Terrorismusverherrlichung verboten, und ehemalige Genossen warfen Baumann Verrat vor, vor allem weil er angedeutet hatte, dass Georg von Rauch nicht unbewaffnet war, als er erschossen wurde. Gudrun Ensslin entlarvte das Buch als „faschistisches Machwerk“, und der RAF-Anwalt Klaus Croissant denunzierte Baumann noch 1981 als gekauften Agenten des Staatsschutzes. Wenn man „Wie alles anfing“ noch einmal liest, fällt vor allem diese unglaublich optimistische Vertraulichkeit auf, mit der sich der Politpopstar an seine Leser als Genossen wendet; dieses „Du“, mit dem er sowohl sich selbst meint als auch die Leser, wenn er etwa den Ausstieg aus der Gesellschaft propagiert: „Du führst dann ein Leben ohne Vergangenheit (. . .) Wenn du irgendwo hinkommst, bist du genau der, der du im Augenblick bist. (. . .) Du bist nicht mehr ins bürgerliche System integrierbar, du bist immer draußen (. . .)“

Die fast dreijährigen juristischen Auseinandersetzungen trugen dazu bei, dass „Wie alles anfing“ zu einem heimlichen Bestseller wurde. Ab und zu findet man in Antiquariaten auch den Band „Ein Buch wird verboten“, in dem die teilweise grotesk anmutenden Auseinandersetzungen um „Wie alles anfing“ dokumentiert sind. Die Entfernung, die man beim Lesen spürt, ist fast so groß wie gegenüber Büchern aus der DDR. Und doch geht das Buch einem sehr nahe, so wie Niederlagen manchmal nahe gehen.

In größeren Publikationen über 68 werden die Anfänge der bundesdeutschen Subkultur oft nicht mal mehr als kleinbürgerlicher Eskapismus verworfen, und Bommi Baumann, der Held, taucht nicht einmal mehr in Fußnoten auf. Letztes Jahr allerdings fand ich eine Internetseite, die „Leben wie Bommi Baumann“ hieß. Detlef Kuhlbrodt

Bommi Baumann: „Wie alles anfing“. Gibt's nur noch in der zweiten, überarbeiteten Fassung bei Rotbuch.