: Klagen oder nicht klagen, das ist die Frage
Die EU-Kommission fordert die Bundesregierung auf, mehr beim Klimaschutz zu tun. Keine Antwort aus Berlin
BERLIN taz ■ Die deutsche Präsidentschaft der Europäischen Union beginnt mit einem ernsthaften Problem. Bei ihrem zentralen Anliegen des Klimaschutzes ist es der Bundesregierung auch gestern nicht gelungen, eine gemeinsame Position zur Politik der EU-Kommission zu formulieren. EU-Umweltkommissar Stavros Dimas verlangt, dass die deutsche Industrie ab 2008 nur noch 453 Millionen klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) ausstoßen darf. Die Bundesregierung will den Unternehmen dagegen 465 Millionen Tonnen zugestehen. Wie soll das Kabinett auf die Ansage aus Brüssel reagieren? Am kommenden Montag treffen sich unter anderem Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) erneut, um eine Lösung zu finden.
Glos und Gabriel sind uneins über das Vorgehen gegenüber Brüssel. Während der deutsche Umweltminister im Dezember einen Kompromissvorschlag an die EU-Kommission geschickt hat, erwägt der Wirtschaftsminister eine Klage gegen die Vorgaben der EU-Kommission. Nach der gestrigen Kabinettssitzung erhielt Regierungssprecher Thomas Steg diese Drohung aufrecht: „Keine Option ist ausgeschlossen.“ Aber ist es vorstellbar, dass die Bundesregierung während ihrer eigenen EU-Präsidentschaft eine Klage gegen die Kommission einreicht? Grundsätzlich ja, sagte Steg. Zwar habe „niemand Interesse an einer Auseinandersetzung“, dennoch könne sie angesichts „nationaler Interessen“ geboten sein.
Nach Informationen der taz kalkuliert die Regierung eine Klage aber nicht ein. Umweltminister Gabriel hat erklärt, dass er die Vorgabe des Reduktionsziels von 453 Millionen Tonnen CO2 grundsätzlich akzeptieren will. Im Umweltministerium rechnet man mit einem Kompromiss, der irgendwo zwischen der deutschen Position (465 Millionen Tonnen CO2) und der europäischen Forderung (453 Millionen Tonnen) liegt. In mehreren Detailfragen hätten sich die Kommission und das deutsche Umweltministerium bereits geeinigt, hieß es gestern. Sollte sich Deutschland auf eine stärkere CO2-Minderung einlassen, wäre der Bau neuer Braunkohlekraftwerke so gut wie unmöglich.
Der Streit über den Kohlendioxidausstoß der deutschen Industrie ist nur einer von mehreren Konfliktpunkten zwischen Berlin und Brüssel. Eine schärfere Gangart beim Klimaschutz strebt Umweltkommissar Dimas an, indem er Abgasgrenzwerte für Kraftfahrzeuge fordert. Die deutsche Autoindustrie lehnt gesetzliche Höchstwerte ab, ebenso Wirtschaftsminister Glos. Umweltminister Gabriel hält es zwar für notwendig, die Autoindustrie stärker an die Kandare zu nehmen, tut aber praktisch nichts. Stoff für Konflikte zwischen der EU und Deutschland enthält außerdem der Kommissionsvorschlag, die Energieunternehmen zu entflechten. Brüssel erwägt die Trennung der Produktion von Strom und seiner Verteilung mittels der Netzleitungen. Für die vier beherrschenden deutschen Stromkonzerne hieße dies möglicherweise, dass sie die Kontrolle über die Überlandleitungen verlören und ihre Gewinne sinken würden. Die Bundesregierung steht diesem Anliegen der EU-Kommission daher mit Skepsis gegenüber. Ähnlich sieht es aus beim Brüsseler Vorschlag, den Flugverkehr in das Klimaschutzinstrument des Emissionshandels einzubeziehen: Auch hier erklärt das Wirtschaftsministerium, dies liege nicht im Interesse des Standort Deutschland. HANNES KOCH
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