piwik no script img

Albtraum Einkommen

Friseurin Silke Haisch erhält 525 Euro pro Monat, das Zimmermädchen Antonia Hercher hat 322 Euro bekommen. Können Union und SPD das ändern?

VON HANNES KOCH UND WOLF SCHMIDT

Sieben Stunden täglich, fünf Tage die Woche schneidet und färbt Silke Haisch* die Haare ihrer Kunden. Mit viel Liebe. „Friseurin, das war schon immer mein Traum und ist es auch heute noch“, sagt die 23-jährige Berlinerin. Wäre da nicht das Albtraumgehalt. 525 Euro hat die ausgelernte Gesellin am Ende des Monats auf dem Konto. Dazu kommt noch etwas Trinkgeld. „Das reicht kaum, aber man findet sich damit ab“, sagt sie. Mit den Kolleginnen spricht sie nicht mehr über Geld: „Das macht nur Kopfschmerzen.“ 4,65 Euro pro Stunde erhalten Friseure nach Tarif in Berlin. In Thüringen sind es nur 3,18 Euro.

Um solch schlechte Bezahlung zurückzudrängen, haben andere europäische Staaten schon vor Jahren den Mindestlohn eingeführt (siehe unten). Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) plant nun Ähnliches für Deutschland. Nach Informationen aus Koalitionskreisen legte er beim Treffen zwischen Union und SPD am Montagabend eine Liste mit Branchen vor, die der Regulierung bedürfen.

Wirtschaftsbereiche mit etwa 4,4 Millionen Beschäftigten kommen nach Münteferings Einschätzung für den Mindestlohn in Frage. Das ist ein Siebtel der gut 27 Millionen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer in Deutschland. Die größte Gruppe arbeitet in Hotels, Restaurants, Bars und Clubs (755.000 Beschäftigte), gefolgt von der Leiharbeit (500.000), Landwirtschaft und Gartenbau (367.000) und dem Friseurhandwerk (157.000). Weitere Branchen sind die Forstwirtschaft, die Fleisch verarbeitende Industrie, die Entsorgungswirtschaft, das Bewachungsgewerbe und die Postdienste.

Müntefering schlägt vor, dass die Unternehmerverbände und Gewerkschaften dieser Branchen sich zunächst selbstständig auf Untergrenzen beim Lohn einigen sollen. Danach würde das Bundesarbeitsministerium diesen tariflichen Mindestlohn allgemein verbindlich erklären. Das heißt, dass alle Firmen der jeweiligen Branche das Minimalgehalt zahlen müssten – egal ob sie Mitglied im Arbeitgeberverband sind oder nicht.

Das Reizwort „gesetzlicher“ Mindestlohn hat Franz Müntefering absichtlich vermieden. Unter anderem die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di fordert eine für ganz Deutschland gültige Untergrenze von 7,50 Euro. Damit allerdings, so weiß der Arbeitsminister und Vizekanzler, würde er die Union auf die Palme treiben, die einen flächendeckenden Mindestlohn kategorisch ablehnt. Müntefering beschreitet daher den weichen Weg über die Tarifverhandlungen der Branchen. Entscheidend ist für ihn, dass zunächst einmal das Lohndumping in den Branchen gestoppt wird, die vom scharfen Wettbewerb in Europa besonders betroffen sind.

Dazu gehört das Hotel- und Gaststättengewerbe. Laut Tarifvertrag verdienen Aushilfen, die in sächsischen Restaurants arbeiten, heute mindestens 1.092 Euro brutto pro Monat. Bei 165 Stunden Arbeit liegt dem ein Stundenlohn von 6,62 Euro zugrunde. Kalkuliert man jedoch die oft unbezahlten Überstunden hinzu, kann der tatsächlich gezahlte Stundenlohn leicht auf 5,50 Euro sinken. Um diese schlechte Bezahlung etwas anzuheben, würde sich die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) auf einen tariflich vereinbarten Mindestlohn einlassen, erklärt der für Ostdeutschland zuständige Landessekretär Günter Regneri.

Doch der Gewerkschaft fehlt der Partner. Denn der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) lehnt dieses Ansinnen ab. „Mindestlöhne sind definitiv nicht das richtige Instrument“, sagt Geschäftsführerin Ingrid Hartges. Vor allem verweist sie auf „die hohen Personalkosten“. Weil viele Betriebe sich höhere Löhne nicht leisten könnten, würde nur „die Flucht in die Schwarzarbeit“ zunehmen. Die Haltung der Gastronomie-Unternehmen stellt die Strategie des Bundesarbeitsministers nicht nur praktisch, sondern auch grundsätzlich in Frage. Wenn die Arbeitgeber nicht wollen, gibt es keinen Mindestlohn – das kann nicht im Interesse Münteferings liegen.

Möglicherweise ist es dieser Hintergedanke, der die Union in letzter Zeit veranlasst hat, tariflich vereinbarte Untergrenzen für den Lohn nicht mehr völlig abzulehnen. Trotzdem wollen die Christlichen mit diesem, aus ihrer Sicht dirigistischen Eingriff möglichst sparsam umgehen. Peter Ramsauer, Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, sagte gestern, die Probleme von Lohndumping in einzelnen Branchen seien bekannt. „Da hört der Spaß auf, die Tarifpartner müssen sich auf vernünftige und tragbare Dinge einigen“, so Ramsauer. Sein Kollege Norbert Röttgen, Fraktionsgeschäftsführer der Union, betonte: „Es ist nicht beschlossen worden, wir vertagen das Thema, sondern wir arbeiten an dem Thema.“

Die nächste Runde soll nun im März stattfinden. Das Bundesarbeitsministerium hat den Auftrag erhalten, einzelne Branchen genauer zu untersuchen und zu klären, wie die Einführung eines Mindestlohns dort wirken würde.

Das Ergebnis von Montagabend ist ein für beide Seiten vertretbarer Einstieg in ein extrem kompliziertes und konfliktträchtiges Thema. Wie es weitergeht, wird man auch daran ablesen können, ob Union und SPD in den kommenden Monaten den Mindestlohn für die Branche der Gebäudereinigung beschließen. Grundsätzlich verständigt hat sich die Koalitionsspitze schon, nun aber gibt es Probleme zwischen den Fraktionen im Bundestag.

Sollte sich die große Koalition aber schließlich einigen, würden Arbeitsverhältnisse, wie Antonia Hercher sie erlebt hat, zumindestens unwahrscheinlicher. Zwei Monate arbeitete die 23-Jährige in der Gebäudereinigung. „Ich habe auf die erste Lohnabrechnung geschaut und sofort gemerkt, dass da was nicht stimmt“, berichtet Hercher. 21 Tage hatte sie im November im Hamburger Luxushotel Dorint Sofitel von morgens bis abends Zimmer geputzt. Der magere Lohn, den sie dafür bekam: 322,69 Euro netto, umgerechnet 1,92 Euro die Stunde. Nach Branchentarif hätten ihr 7,87 Euro brutto zugestanden. Doch die Reinigungsfirma rechnete nach Akkord ab, bezahlte 3,50 Euro je Zimmer. Antonia Hercher weiß nur eins: „Zimmerreinigung mach ich nicht noch mal.“

* Name geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen