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Bahnchef gerät in Zugzwang

In einem Fax an Bundestagsabgeordnete erhebt Bahnhofsarchitekt von Gerkan schwere Vorwürfe gegen die Bahn. Er kritisiert „unprofessionelle Projektsteuerung“ und Verdunklungstaktik. Haushaltsausschuss befragt Mehdorn

Als Bahnchef Hartmut Mehdorn gestern Nachmittag hinter der Tür des Haushaltsausschusses im Bundestag verschwand, hatte sein Gegner längst den Giftpfeil abgeschossen. Per Fax. Alle Haushälter fanden am Vormittag in ihren Büros ein Schreiben der Anwälte von Architekt Meinhard von Gerkan, in dem dieser harsche Vorwürfe gegen die Bahn erhebt. In dem Papier, das der taz vorliegt, ist von „unprofessioneller Projektsteuerung“ und von Verdunklungstaktiken die Rede.

Doch von vorn: Mehdorn musste sich vor den Abgeordneten zum Streit mit dem Stararchitekten über die Flachdecke im Untergeschoss und das gekürzte Glasdach über den Bahnsteigen verhalten. Eine erste Einladung hatte er aus Termingründen abgesagt. Die Finanzexperten hakten in der nichtöffentlichen Sitzung, die bis Redaktionsschluss andauerte, vor allem wegen der Kostenexplosion beim Hauptbahnhof nach. Der kostete – nach derzeitigem Stand – 1,2 Milliarden Euro, geplant waren 700 Millionen. „Mehdorn trat selbstbewusst auf und versuchte zu vermitteln, dass die Bahn vernünftig mit Steuergeld umgeht“, schildert Gesine Lötzsch (Linkspartei) ihren Eindruck.

In der Schlammschlacht zwischen Bahn und von Gerkan kann dagegen von Vernunft keine Rede mehr sein. „Die neuerlichen Entgleisungen des Herrn von Gerkan sind haltlos und unverfroren“, wetterte gestern Wolf-Dieter Siebert, der Chef der DB Station & Service GmbH. Falls der Architekt seine Behauptung nicht zurücknehme, drohte Siebert eine Klage an.

Der Architekt hatte zuvor die Bahn für den Absturz des tonnenschweren Stahlträgers von der Fassade der Bügelbauten verantwortlich gemacht. Ursprünglich seien Sicherungsschienen an den Stahlstreben vorgesehen gewesen, so von Gerkan. Diese seien aber „unter der Regie der Bahn bei der weiteren Ausführung weggelassen worden“. Ein unabhängiger Gutachter versucht derzeit mit einem Beweissicherungsverfahren zu klären, wie der Sturm „Kyrill“ den tonnenschweren Träger vor zwei Wochen herunterreißen konnte.

In seinem Fax bittet von Gerkan nun, auch seine Version vor dem Haushaltsausschuss schildern zu dürfen – und seine Chancen stehen gut: „Es ist eine Frage der Fairness, ihn auch zu Wort kommen zu lassen“, sagt Lötzsch, „seine Vorwürfe wiegen schwer.“ Das Papier listet sie auf: So habe die Bahn das Architekturbüro in den letzten Jahren über die Kosten des Bahnhofs bewusst im Unklaren gelassen. „Die von der DB AG ausgehändigten Dokumente enthielten an nahezu allen wesentlichen Stellen geschwärzte Zahlen.“

Von Gerkan wirft der Bahn nicht nur ihr Schweigen, sondern sogar Lügen vor. So sei das ursprünglich geplante lange Bahnhofsdach, anders als von der Bahn behauptet, weder teurer noch zeitaufwändiger als die nun gebaute, 130 Meter kürzere Version. Für das Dach sei ein „Fixpreis“ von 36,8 Millionen Euro vereinbart gewesen. Die „angeblichen weiteren Kosten“ führe die Bahn nur ins Feld, „um den Schildbürgerstreich zu verschleiern, dass das gekürzte Dach weit mehr gekostet hat als das lange.“ Außerdem habe die Kappung des Dachs wegen notwendiger neuer Planungen und Genehmigungen die Terminnot sogar verschärft. Die Bahn behauptet das Gegenteil: Nur dank der Kürzung sei die pünktliche Öffnung zur Fußball-WM möglich gewesen. ULRICH SCHULTE

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