: Spitzel gehen auch auf Montagsdemos
Verfassungsschützer haben Mitglieder des Berliner Sozialforums auch auf ganz normalen Sozialprotesten beobachtet. Grüne kritisieren „rechtswidrige Anwesenheitslisten“. Verfassungsschutzchefin verteidigt die Beobachtungspraxis
Der Berliner Verfassungsschutz sucht sich neue Aufgaben: Die Behörde, die verfassungsfeindliche Bestrebungen beobachten soll, hat in den letzten Jahren auch Proteste gegen die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Bundesregierung ausgespäht. Das belegen Papiere, die der taz vorliegen. Die V-Leute beobachteten Teilnehmer von Montagsdemonstrationen, notierten ihre Namen und speicherten sie elektronisch. Die Behörde führe „rechtswidrig Anwesenheitslisten bei Sozialprotesten“, kritisiert der Rechtsexperte der Grünen-Fraktion, Dirk Behrendt.
Besonders umfänglich bespitzelten V-Leute einen stadtweit bekannten, völlig harmlosen Aktivisten der linken Szene. In einer Antwort auf seinen Antrag auf Akteneinsicht nennt die Behörde gleich drei Demos, auf denen sie den Betroffenen gesichtet hat. Das Papier listet die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV am 16. August 2004, am 13. September 2004 und die Demo gegen „Sozialkahlschlag“ am 1. November 2003 auf.
Das Interesse an ganz normalen, friedlichen Demos mit zehntausenden Teilnehmern begründet der Verfassungsschutz so: An den Veranstaltungen hätten auch „linksextremistische Gruppierungen“ teilgenommen, insofern werde auf die Teilnahme des Bespitzelten hingewiesen, so die Mitteilung. Dem aber liegt nichts ferner als extremistische Betätigung. „Das wissen alle, die sich nur einigermaßen in der linken Szene auskennen“, sagt Behrendt. Im nächsten Atemzug räumt die Behörde ein: Die Informationen seien nicht relevant und könnten gelöscht werden.
Die Grünen werfen dem Verfassungsschutz Rechtsbruch vor. „Eine Rechtsgrundlage für die Erfassung der bloßen Teilnahme an diesen Demonstrationen ist nicht einmal erahnbar“, sagt Behrendt. Sein Fazit: Die Behörde könne nicht zwischen relevanten linksextremistischen Bestrebungen und legitimem Sozialprotest unterscheiden, sondern erfasse „offenbar uferlos“ linke Aktivitäten.
Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid verteidigt ihre Behörde. „Es gab in der Vergangenheit Bestrebungen linksextremistischer Gruppierungen, soziale Proteste in ihrem Sinne zu beeinflussen.“ Der Verfassungsschutz habe die Aufgabe, über solche Entwicklungen – und eben auch die Teilnahme an Protesten – zu berichten, so Schmid. Derlei Unterwanderungsversuche seien jedoch fehlgeschlagen, weil die Linksextremisten in der Masse der Protestierenden untergingen.
ULRICH SCHULTE
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