: VWs ungeliebter kleiner Sohn
Mit dem Chico entwickelte Volkswagen schon Anfang der 1990er-Jahre einen Hybrid für die Stadt. Doch der Wagen passte nicht ins neue VW-Konzept – zu individuell
BERLIN taz ■ 1992 präsentierte Volkswagen auf seinem Stand bei der Frankfurter Automobilausstellung ein etwas über drei Meter langes grünes Ei. Über die Optik ließ sich damals wie heute trefflich streiten. Unstrittig hingegen war, dass dieses Auto eine echte Innovation in sich trug: Ein kleiner Zweizylinder-Motor mit gut 600 Kubikzentimeter und 34 PS, der entsprechend wenig verbrauchte, wurde unterstützt durch einen Elektromotor mit neun PS – im Prinzip also der Hybrid-Motor, der seit einigen Jahren Toyota ein grünes Image gibt. Das Ei hieß VW Chico.
„Chico“ rufen Spanisch sprechende Väter ihre Söhne. Doch im VW-Konzern blieb das Kind ungeliebt. Drei Prototypen wurden gebaut, doch statt ihn dann auf das Fließband zu heben, schob man den Chico ins werkseigene Museum ab. Dort steht er heute noch und wird mit all seinen Vorzügen angepriesen.
Gut 130 Stundenkilometer schaffte der Kleinstwagen, was mit Blick auf die kleinen Motoren tatsächlich beachtlich war. Doch für die Autobahn war der Chico gar nicht konzipiert, er sollte vor allem in der Stadt eingesetzt werden. Um dort auf günstige Verbrauchswerte zu kommen, war der Viersitzer möglichst leicht gebaut worden. Nur 830 Kilogramm brachte er auf die Waage. Trotzdem gab es als Gag für innerstädtische Parkmanöver Viergelenk-Türen, die das Ein- und Aussteigen besonders bequem machten.
Und auch Sicherheitsfragen nahmen seine Erbauer ernst. Mit entsprechenden Karosserieverstärkungen, Airbags für Fahrer und Beifahrer, Rückhaltepolstern und Kniegurten schaffte der Chico auch die strengen US-Normen für den potenziellen Frontal- und Seitenaufprall.
Aber weder jenseits noch diesseits des Atlantiks kam das Auto jemals in den Handel. Ober-Patriarch Ferdinand Piëch, der sich im Kampf um den Vorstandsvorsitz gegen den Öko-Manager Daniel Goeudevert durchgesetzt hatte, fand keine Freude an dem kleinen Sohn. Der war zwar stromlinienförmig, aber nicht angepasst genug, um sich in die Plattformstrategie des Konzerns einordnen zu lassen. Möglichst viele gleiche Teile in möglichst vielen unterschiedlichen Typen – dafür war der Chico zu individuell.
Piëch setzte auf einen anderen Sprössling, und zwar den des Sonnengottes mit Namen Phaeton. Der Phaeton führte das Wolfsburger Unternehmen VW in die Oberklasse – und damit auch in die finanzielle Krise.
Erst fünf Jahre nach der Vorstellung des Chico kümmerte sich VW wieder um die Kleinstwagenklasse unterhalb des Polo. Doch die Idee des Hybrid-Motors nahm der Konzern beim Lupo nicht mehr auf. Zwar gab es auch hier eine Super-Spritsparversion. Doch der 3-Liter-Lupo fuhr mit Diesel.
Aufwendige Technik und besonders leichte Materialien sorgten für einen hohen Verkaufspreis, sodass das Auto lange gefahren werden musste, um die Anschaffungskosten wieder auszugleichen. Das Modell verkaufte sich entsprechend schleppend, was den Nörglern bei VW ein gutes Argument lieferte – 2005 wurde der Bau eingestellt.
Dennoch setzt Volkswagen weiterhin auf den Diesel, um die EU-Grenzwerte für Schadstoffemissionen einzuhalten. Die Wolfsburger bieten unter dem Logo Blue Motion vergleichsweise sparsame Modelle an. Den Massenmarkt für Hybrid-Motoren überließ das Unternehmen den Konkurrenten und den Chico der Tochter in Südafrika: Unter diesem Namen wurde dort bis vor kurzem der Golf I verkauft. STEPHAN KOSCH
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