: Herr W. beobachtet Bush nicht
Der Bremer Verfassungsschutzdirektor verteidigt vor dem BND-Untersuchungsausschuss das Vorgehen seines Amtes gegen Murat Kurnaz und gibt dabei allerlei Kurioses von sich
BERLIN taz ■ Walter Wilhelm ist ein wichtiger Zeuge. Ein sehr wichtiger Zeuge. Leiter des Bremer Verfassungsschutzes. In seinem Heimatland als Geheimdienstchef nicht unumstritten, im Rest der Bundesrepublik unbekannt. Wilhelm und seine Mitarbeiter haben zwischen 2002 und 2005 mehrere Berichte verfasst, in denen der Bremer Murat Kurnaz als radikalisierter, gewaltbereiter Islamist beschrieben wird. Vor allem auf diese Berichte stützte sich die rot-grüne Bundesregierung bei ihrer Entscheidung, Kurnaz im Falle seiner Freilassung aus Guantánamo nicht wieder nach Deutschland einreisen zu lassen.
An diesem Donnerstag sitzt Wilhelm also vor dem BND-Untersuchungsausschuss und versucht Antworten auf die Frage zu geben, woher der Bremer Verfassungsschutz seine Erkenntnisse bezog. Dabei stellt Wilhelm unfreiwillig ein paar Sachen klar, die unter den Beobachtern auf der Besuchertribüne regelmäßig zu kollektiven Lachanfällen führen. „Wir kannten Murat Kurnaz doch gar nicht“, sagt der Geheimdienstchef an einer Stelle. „Wir haben ihn erst kennen gelernt, als er schon weg war.“
Wilhelm hat seiner Aussage zufolge den Namen Kurnaz das erste Mal im Herbst 2001 gehört, als Kurnaz’ ursprünglicher Reisebegleiter nach Pakistan verhaftet worden war. Außerdem wurde in einer Polizeimeldung Anfang 2002 Kurnaz’ Verhaftung in Afghanistan vermerkt. Den Hinweis des FDP-Abgeordneten Max Stadler, Kurnaz sei nicht in Afghanistan, sondern in Pakistan festgenommen worden, beantwortet Wilhelm mit dem für einen Geheimdienstchef erstaunlichen Satz: „Das weiß ich jetzt gar nicht, da muss ich erst in den Unterlagen nachschauen.“ Stadler interveniert erneut. Wilhelm möge doch bitte nicht von „Verhaftung“ sprechen, Kurnaz sei ohne Begründung einfach festgenommen worden. Daraufhin Wilhelm: „Ich denke da als Verfassungsschützer.“
Alle Erkenntnisse über Kurnaz gewann der Verfassungsschutz ausschließlich über V-Leute in der Bremer Islamistenszene. Telefongespräche von Kurnaz seien zu keiner Zeit abgehört worden. Über die „Quellen“, also die V-Leute, will Wilhelm in öffentlicher Sitzung nichts sagen. Nur, dass er sie bis heute für „glaubwürdig“ hält. Von einer dieser „Quellen“ stammt auch der viel zitierte Hinweis, dass Kurnaz von Pakistan aus den Vorbeter einer Bremer Moschee mehrfach angerufen und „einen unmittelbar bevorstehenden Einsatz in Afghanistan unter Führung der Taliban“ angekündigt habe.
Vorwürfe, er habe diese Telefonate erfunden und Unterlagen manipuliert, um Kurnaz’ Glaubwürdigkeit zu erschüttern, weist Wilhelm als „völligen Quatsch“ zurück. Die Bremer Islamistenszene hält er auch heute noch für „gefährlich“. Ob er Kurnaz immer noch für einen Terroristen halte, wird Wilhelm gefragt. „Nein.“ Für einen Islamisten? „Ja.“ Gab es Erkenntnisse, die Kurnaz’ Verbleib in Guantánamo rechtfertigten? „Diese Frage darf man gar nicht stellen. Jemanden in Guantánamo lassen zu wollen, kann ich nicht verstehen.“
Was Wilhelm unter einem „Islamisten“ versteht, wird im Ausschuss nicht ganz klar. Der Verfassungsschützer eiert herum. Als er gefragt wird, ob er wisse, dass George W. Bush höchstpersönlich von einem „Kreuzzug gegen das Böse“ gesprochen habe, antwortet er: „Der amerikanische Präsident wird von uns nicht beobachtet.“ JENS KÖNIG
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