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„Die Republik war nie so schwarz wie heute“

Der Wahlforscher Manfred Güllner sieht in dem Hamburger Debakel ein Zeichen für die galoppierende Auflösung der gesamten SPD

taz: Herr Güllner, die SPD kann in Hamburg nicht mal eine Urwahl organisieren, in Wiesbaden meldet sie ihren Spitzenkandidaten gar nicht erst an. Was ist faul in der Partei?

Manfred Güllner: Das sind Auflösungserscheinungen, Zeichen für eine Krise, die aber nicht erst mit Gerhard Schröder begonnen hat. Schon die Hamburger Bürgerschaftswahl von 1974 war ein erster Hinweis darauf, dass die SPD in Großstädten Schwierigkeiten bekommt. Damals hat die Partei 10 Prozentpunkte verloren. Danach ging es mit kurzen Unterbrechungen immer nur bergab. Bei der letzten Hamburger Wahl hat nur noch jeder fünfte Wahlberechtigte SPD gewählt – und das in der einstigen Hochburg!

Was ist an Hamburg so besonders?

Nichts. Danach ging es auch andernorts Schlag auf Schlag. In Frankfurt am Main wurde 1977 der CDU-Politiker Walter Wallmann Oberbürgermeister. Die SPD hat ihre Krise aber nie als Krise erkannt und deshalb überhaupt nicht reagiert. Jetzt, wo die Partei in Auflösung begriffen ist, ist es eigentlich schon zu spät.

Es gab Zeiten, in denen die SPD fast alle Großstädte regiert hat, selbst in Bayern …

… bis auf Stuttgart, ja.

Was ist da passiert?

Bayern ist ein interessanter Fall. Als Adenauer 1957 auf Bundesebene die absolute Mehrheit gewann, gab es dort noch einen SPD-Ministerpräsidenten. Im Nachkriegsdeutschland ist die SPD stark geworden, weil sie eine sehr pragmatische Politik auf lokaler und Landesebene betrieben hat. Dieses Vertrauen hat sich in den Sechzigerjahren auf die Bundesebene übertragen.

Warum ist das dann gekippt?

Weil in den Siebzigerjahren eine Reideologisierung der Partei begann, verbunden mit einem Mitgliederstrom aus gebildeten Schichten, die eigentlich gar nicht in die SPD passten. Da gab es die ersten Unterbezirksvorsitzenden mit Doktortitel, und diese Leute machten eine Politik, die sich nicht mehr an den Bedürfnissen der Mehrheit orientierte, sondern an ihren eigenen. Da wurden kommunale Kinos eingerichtet und Kulturzentren mit Edelrestaurants.

Der neue Parteichef Kurt Beck mit seinem betont unakademischen Habitus ist also die richtige Besetzung?

Ein einzelner Nichtakademiker genügt nicht. Dass es heute außer Kurt Beck niemanden mehr gibt, der als Parteivorsitzender in Frage kommt – das ist eine Folge dieser extremen personellen Auszehrung auf allen Ebenen. Dafür haben die Schichten, die in den Siebzigerjahren eingetreten sind, selbst gesorgt. Sie wollten, dass niemand nachkam und ihre Macht gefährden konnte. Nehmen Sie etwa Frau Wieczorek-Zeul, die immer noch auf ihrem Ministersessel sitzt.

Wenn das so ist – warum verlor die SPD nicht viel früher ihre Mehrheiten?

Weil die Menschen sehr geduldig sind. Sie haben darauf gewartet, dass die SPD wieder vernünftig wird. Außerdem fehlte die Alternative. Wenn die CDU etwa in Köln nicht so korrupt gewesen wäre, dann hätte sie schon vor zwanzig Jahren den Oberbürgermeister stellen können. Auch andernorts hatte die CDU lange kein vorzeigbares Personal.

Wie heute die SPD.

Aber für die SPD ist das schlimmer. Die CDU war früher eine zentralistische Partei, während die SPD immer auf die Verankerung im Lokalen angewiesen war. Heute ist es umgekehrt: Wenn die CDU im Bund schwächelt, dann hat sie noch eine Rückfallposition in Ländern und Kommunen. Das hat die SPD nicht mehr. Die Republik war nie so schwarz wie heute. INTERVIEW: RALPH BOLLMANN

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