: „Mehr Kontrollrechte für die Bürger“
Der Staat will Computer überwachen und in die Privatsphäre Einblick nehmen. Das kann nötig sein – doch um den Staat zu kontrollieren, reichen Datenschutzbeauftragte nicht mehr aus, so der frühere DDR-Bürgerrechtler Erhard Neubert
ERHARD NEUBERT, 66, lebt in Erfurt und ist Theologe und Religionssoziologe. In der DDR war er in der oppositionellen Friedensbewegung aktiv, 1989 Mitbegründer des „Demokratischen Aufbruchs“. 1992–94 war er Mitarbeiter der Bündnisgrünen, 1996 trat er in die CDU ein. Seit 1997 ist er Fachbereichsleiter in der Abteilung Bildung und Forschung beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der Ex-DDR.
taz: Herr Neubert, fühlen Sie sich eigentlich wieder ein bisschen wie in der DDR?
Erhard Neubert: Nein, ich bin jeden Tag aufs Neue froh, dass es mit diesem Staat vorbei ist. Was sollte mich daran erinnern?
Sie haben wie alle Bürgerrechtler permanente staatliche Überwachung erfahren. Und heute baut der Staat diese wieder aus, nach der Telefonüberwachung will der Innenminister gern heimlich unsere Computer überwachen und Mautdaten zur Aufklärung von Verbrechen sammeln.
Ich würde lügen, wenn ich sagte, dass mich das glücklich macht. Aber die Situation lässt sich mit der in der DDR nun überhaupt nicht vergleichen. Heute gibt es eine öffentliche Diskussion über die Überwachung. Der Staat will auch seine Bürger nicht domestizieren. Das sind explizite Unterschiede, wir leben nämlich in einer Demokratie.
Es geht hier nicht um einen simplen Vergleich. Viele Menschen in Demokratien fühlen sich von staatlicher Überwachung zunehmend bedroht. Deshalb war auch der Film „Das Leben der anderen“ in den USA so erfolgreich. Die Menschen haben ihn als Spiegel ihrer eigenen Situation verstanden. Verstehen Sie diese Sicht?
Nein, das bleibt ein Film über die DDR. Wir leben in Demokratien mit Schutzrechten, die es in Diktaturen nicht gab. Und die Polizei braucht offenbar einige Überwachungstechnologien, um realen terroristischen Gefahren begegnen zu können. Die zu ignorieren, wäre Realitätsverweigerung. Deshalb hilft es nicht, hier den Kopf in den Sand zu stecken und Verbote bestimmter Technologien zu fordern.
Aber wenn eine Überwachungstechnologie erst einmal zugelassen ist, dann setzen die Sicherheitsbehörden sie auch mehr und mehr ein. Wieso sollte man dem Staat deshalb nicht verbieten, Computer heimlich auszuschnüffeln?
Wir sollten vom Staat stattdessen vielmehr Institutionen einfordern, die den Einsatz der gesammelten Daten kontrollieren. Nicht das Sammeln der Information an sich ist das größte Problem, sondern die Verwendung. Hier brauchen wir eine starke Institution, die das kontrolliert.
Wir haben Datenschutzbeauftragte.
Von denen hört man leider nicht allzu viel. Das sind auch Einzelpersonen, die mit viel zu wenig Befugnissen ausgestattet sind. Sie werden den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht. Es gibt Behörden, die das Kartellrecht kontrollieren. Warum haben wir keine Behörde mit der gleichen Machtfülle, die den Umgang mit unserer Privatsphäre kontrolliert und an die sich jeder wenden kann? Wir sollten das vom Staat fordern. Wenn er Freiheitsrechte einschränkt, muss er dafür auch etwas anbieten.
Warum fordern die Bürgerrechtler der DDR so etwas nicht? Sie sind erstaunlich still, wenn es um aktuelle Debatten zu Freiheitsrechten geht.
Ja, und das ist vielleicht auch nicht immer von Übel. Nach der Revolution 1989 waren wir noch sehr stark von unserer eigenen Wichtigkeit überzeugt und meinten, jeder müsse uns zu allem fragen. Diese Haltung ist zum Glück Vergangenheit. Es hat aber auch damit zu tun, dass unsere Erfahrungen aus dem Kampf gegen eine Diktatur stammen. Da ist die Richtschnur für ethisches Handeln klar. Gut und Böse waren sozusagen offensichtlich. Die Bundesrepublik ist eine hochkomplexe pluralistische Gesellschaft. Hier sind die Fronten weit weniger klar und unsere Erfahrungen nur sehr bedingt anwendbar. In dieser Frage müssen sich andere engagieren.
Wer sollte das sein?
Es gibt Organisationen, die sich damit befassen, dass Technik menschenwürdig eingesetzt wird. Der Chaos Computer Club etwa. Diese Aktivisten können die Gefahren, die von Technologien ausgehen, besser einschätzen als die meisten Menschen.
Bisher diskutieren sie oft zumeist darüber, mit welchem Programm man feindliche Programme ausschalten kann. Politik gilt eher als Ekelthema.
Ja, auch zu DDR-Zeiten gingen Leute in die innere Immigration. Aber so verändert man nichts. Es gibt sehr viele Leute, die von den Gefahren der technischen Entwicklung so gut wie nichts wissen. Die Experten müssen sie aufklären. Sie müssen kritische Fragen zu den Überwachungstechnologien sehr viel lauter als bisher artikulieren. Eine neue Bürgerbewegung ist nötig, und diese Aktivisten sollten der Kern dieser Bewegung sein.
Und aus der Geschichte der DDR können wir gar nichts für die Gegenwart lernen?
Doch, eine Sache auf jeden Fall: Was auch immer die Regierung tut, sie muss sich klar am Katalog der Freiheitsrechte messen lassen. Wenn sie ein Recht einschränkt, muss sie etwas dafür geben – also stärkere Transparenz und Kontrolle durch die Bürger. Nur so gibt es Gewissheit, dass eine Demokratie auch eine Demokratie bleibt.
INTERVIEW: DANIEL SCHULZ
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