: Feilschen um den Kinderschutz
Nachdem mehrere Fälle von Kindesvernachlässigung bekannt wurden, stehen die Jugendämter in der Kritik. Diese verweisen auf ihre vielen unbesetzten Stellen. Jetzt will der Senat Abhilfe schaffen
VON NANA GERRITZEN
In Berlin ist Kinderschutz out. Das sagt zumindest Georg Ehrmann, Vorstandsvorsitzender des gemeinnützigen Vereins Deutsche Kinderhilfe Direkt. Die jüngsten Ereignisse scheinen seine These zu bestätigen: In Berlin waren in den letzten Monaten mehrere Fälle von erheblicher Kindesvernachlässigung aufgedeckt worden. Zuletzt hatte eine Mutter, die ihre vier schulpflichtigen Kinder weitgehend sich selbst überlassen haben soll, für Schlagzeilen gesorgt. In praktisch allen kürzlich bekannt geworden Fällen hatten die Jugendämter die Betroffenen gekannt, aber die Vernachlässigungsfälle nicht bemerkt.
Schuld ist Ehrmanns Ansicht nach unter anderem die mangelnde Organisation der Berliner Jugendämter: „Im Gegensatz zu anderen Städten gibt es hier keine einheitlichen Diagnose-Standards. Das fängt bei Kommunikationsschwierigkeiten an und reicht bis zu unterschiedlichen Frage-Katalogen.“ Um schneller in eine Familie eingreifen zu können, sei eine stärkere Vernetzung notwendig, so Ehrmann: „Freie Jugendhilfeträger müssen mit einbezogen werden; allen Beteiligten sollten die verfügbaren Daten vorliegen.“
Uta von Pirani zuckt bei so viel Kritik nur mit den Schulten. „Die Belastung meiner Mitarbeiter ist ohnehin dramatisch“, klagt die Leiterin des Jugendamts Charlottenburg-Wilmersdorf. „Unserer großen Verantwortung stehen eine immer geringer werdende Wertschätzung und – im Vergleich mit freien Trägern – eine schlechtere Bezahlung gegenüber. Das steht in keinem Verhältnis miteinander.“ Qualitätsstandards gebe es schon immer, seit Februar seien diese durch landesweit einheitliche Leitlinien ergänzt worden. Neben der neuerdings verpflichtenden Erreichbarkeit der Jugendämter von 8 bis 18 Uhr gebe es unter anderem einheitliche Checklisten und Handlungsvorschriften bei der Gefährdung von Kindeswohl. Durch die verstärkte Zusammenarbeit mit den Notdiensten bemühe man sich um den Aufbau eines Kinderschutz-Netzwerkes.
Auch die Senatsverwaltung weist als Antwort auf die harsche Kritik auf die bereits bestehende Verordnung zur Hilfeplanung und die vor einiger Zeit eingeführten Fallteamschulungen für Mitarbeiter des Jugendamtes hin. „Der Senat hat im Februar das Konzept Kinderschutz beschlossen und 1,1 Millionen Euro für die Umsetzung der Maßnahmen bewilligt“, ergänzt Bärbel Schubert, Sprecherin des Jugendsenators Jürgen Zöllner (SPD).
Doch ohne ausreichendes Personal nütze das beste Konzept nichts, so Jugendamtsleiterin von Pirani. Der finanzielle Standard im Bereich Jugendhilfe müsse zumindest gewahrt werden. Außerdem müsse es erleichtert werden, qualifiziertes Personal einzustellen. Von den ohnehin immer weniger werdenden Stellen in den Jugendämtern seien nicht mal alle besetzt.
Zumindest in diesem Fall verspricht der Senat Abhilfe. „Senator Zöllner hat am Donnerstag im Abgeordnetenhaus angekündigt, die Personalausstattung der Jugendämter zu überprüfen“, so seine Sprecherin. Durch die Besetzung der derzeit freien Stellen sollen die Jugendamtsmitarbeiter entlastet werden. Des Weiteren wolle sich Zöllner „für die Schaffung eines Einstellungskorridors einsetzen“. „Das Bewusstsein, etwas zu tun, ist da“, erkennt auch Georg Ehrmann an. „Dem Senat und den Bezirken muss nur endlich klar werden, dass es verbesserte Jugendhilfe nicht zum Nulltarif geben kann.“
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