: Die Angst vor dem Anderen
Im ehemaligen Ostblock werden Homosexuelle noch immer gehasst und verfolgt. Für dieses offiziöse Klima der Unterdrückung ist eine Allianz der Modernisierungsverlierer verantwortlich
VON JAN FEDDERSEN
Die Bilder ähneln sich frappierend, und sie verströmen Verachtung, krasse Gewalt und einen für unsere Verhältnisse ungewöhnlich dezidierten Hass. Bewegte Bilder aus dem Fernsehen transportieren diese Botschaft, auch im Internet finden sich diese Nachrichten: Lesben und Schwule, überhaupt sexuell Andere sind in Moskau, in Riga, in Cisinau, Vilnius, Tallinn, Sofia, Kiew und in Bukarest ihrer Leben nicht sicher. Sie sind es nicht, wenn sie gemeinsam auftreten, bei einer Christopher-Street-Parade beispielsweise: Dass es sexuell „Andere“ gibt, wird in diesen Gegenden von den konservativ-klerikalen (und heterosexuellen) Eliten nicht bestritten – deren öffentliches Auftreten gilt aber als moralische Provokation.
Alle diese Geschichten haben bizarrerweise gemein, dass sie sich auf dem Gebiet oder dem Einflussbereich der früheren Sowjetunion zutragen. Zu ihnen gehören: Fäkalien gegen lesbische Demonstrantinnen (Riga), Steinwürfe (Vilnius und Tallinn), Schwule jagende Schlägerbanden mit Kampfhunden (Moskau). Meist kommt es nur deshalb nicht zu solchen Randalen, weil der Staat (Moldawien, Litauen oder auch Serbien) diese Umzüge gleich verbietet.
Bruch liberaler Normen
Im Einklang mit europäischem Recht und den unterzeichneten europäischen Verträgen (für den Europarat oder gleich zur Europäischen Union) ist das selbstverständlich nicht – aber sowohl jüngst Moldau wie auch voriges Jahr Lettland begründeten ihre Verbote mit Verweis auf die öffentliche Sicherheit (und Moral), die von Lesben und Schwulen gefährdet werde, jedoch auch mit den vermeintlich obszönen Begehren, die die Demonstranten vortrügen. Außer Tschechien (besser: Prag) gibt es kein Land des einstigen Ostblocks, in dem Homosexuelle in irgendeiner Form die Freiheiten des Westens genießen könnten – und selbst ihr Kampf für diese Liberalität und Pluralität wird blockiert.
Die Ursachen für diesen akzeptierten Hass in den meisten postsozialistischen Gesellschaften gegen Anderes schlechthin sind umstritten. In Polen wird er seitens des katholischen Klerus quasi antichristlich aufgeheizt – im Bund mit ultranationalistischen Politikern, die Homosexuelles ohnehin für westlich dekadent und deren Wünsche nach Gleichberechtigung für absurd halten. In Russland wird die Phobie gegen Lesben wie Schwule von der gleichen Allianz geschürt – nur nimmt dort die orthodoxe Kirche den Platz der Katholiken ein.
Furchterregend ist diese Bilanz auch deshalb, weil es solche Kräfte zwar überall gibt, diese aber nur in Osteuropa von den Polizeien weitgehend unbehelligt bleiben. Die Stadt Riga war voriges Jahr nicht in der Lage, einen Trupp von wohl geistesgestörten Attackeuren gegen den ersten CSD in der lettischen Hauptstadt in Gewahrsam zu nehmen – in Wahrheit hat die Polizei sogar lachend zugeschaut.
Die Soros Foundation, Denkfabrik des US-amerikanischen Milliardärs George Soros, analysiert dieses osteuropäische Wüten als ambivalenten Ausdruck der rasenden Modernisierung dieser Länder: Homosexuelle stünden für alles, was vielen Menschen in diesen Ländern Furcht bereitet – Mobilität, Freisinnigkeit und ein Bruch mit familiären Dogmen. So wie die Kirchen die Geborgenheit im Gestern symbolisieren, verheißen Liberale einen Aufbruch, bei dem viele auf der Strecke bleiben könnten. Ein Befund, der ohne Zweifel zutrifft: Der frühere Block des Realsozialismus ist aktuell tatsächlich ein einzig gewaltbereites Stück Europa geworden. Der Westen hat allen Reichtum, alle Lebendigkeit und jede Form von Mach-was-du-willst-/-ist-ja-schon-okay. Man ersehnt Teilhabe, aber der Preis hierfür ist eine Form der Lebensstilmodernisierung, die wiederum Angst stiftet: Sei ein Individuum! Viele Menschen aber, die in Systemen aufwuchsen, welche die Gemütlichkeit von Bewachungsanstalten verströmten, retten sich in Verschwörungsglauben – der und die Homosexuelle als ZerstörerIn der Tradition.
Kein Hort der Liberalität
Im Übrigen, so die Analysten vom Soros Institut, das selbst mit Milliarden jede Form von Individualität im Bildungsbereich und in Form von NGOs fördert, sei Osteuropa noch nie ein Hort der Liberalität gewesen. CSDs in Osteuropa sind (auch von Heterosexuellen geschätzte) Freiheitsumzüge. Sie verdienen Beachtung.
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