: Köhler in China: „Sie arbeiten daran“
Bundespräsident Horst Köhler will heute an Schanghaier Tongji-Universität erneut Menschenrechte und Chinas internationale Verantwortung thematisieren. Gestern zeigte er sich beeindruckt von der „erstaunlichen Offenheit“ der Pekinger Führung
AUS PEKING JUTTA LIETSCH
Strahlend blau stand der Himmel gestern über Peking – so als wollte der Wettergott seinen Segen über die chinesisch-deutschen Beziehungen geben. Am zweiten Tag seines Chinabesuchs traf Bundespräsident Horst Köhler gestern Premierminister Wen Jiabao. „Es waren sehr gute Gespräche in guter Atmosphäre“, bilanzierte Köhler nach seinem Treffen mit der Staatsspitze und Vertretern von Umweltgruppen. Er habe „differenzierte Informationen“ bekommen, die ihn bestärkt hätten, „nicht alles pauschal zu beurteilen“. Die Menschenrechte seien ein prominentes, aber nicht dominantes Thema gewesen. Einzelfälle habe er nicht angesprochen, das sei „Aufgabe der Bundesregierung“, so Köhler. Die chinesischen Politiker hätten jedoch „mit erstaunlicher Offenheit“ Fehler und Probleme eingeräumt und erklärt, dass sie „daran arbeiten, diese Fehler abzustellen“.
Vor Studenten und Professoren der Schanghaier Tongji-Universität, die vor hundert Jahren von einem deutschen Arzt gegründet worden war, will Köhler heute ebenfalls die Menschenrechte ansprechen. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, zitiert der Redetext, der der taz vorab vorlag, den ersten Satz des deutschen Grundgesetzes. Nur ein Rechtsstaat, der die Grundrechte der Menschen schützt, bekomme das Vertrauen der Bürger. Ohne China direkt zu nennen, wendet sich Köhler gegen Folter, die in den Polizeizellen des Landes Alltag ist: „Das Folterverbot ist eine der unabdingbaren Normen unseres Zusammenlebens im 21. Jahrhundert.“
Den größten Teil der Rede widmete er jedoch dem Leitmotiv seiner Reise: China und Deutschland müssen zusammenarbeiten, um die weltweiten Probleme – vom Klimawandel bis zur Armut in Afrika – in den Griff zu bekommen. Er forderte Peking auf, sich „konstruktiv an internationalen Bemühungen um Stabilität und Frieden zu beteiligen“, zum Beispiel in Darfur. Aufgrund seines Einflusses auf die Führung in Khartum „könnte China wesentlich zur Lösung des Konflikts beitragen“.
Dennoch wollte Köhler nicht als Oberlehrer auftreten: „Jedes Land hat ein Recht darauf, seinen eigenen Weg zu gehen“, erklärte er – ganz im Sinne der chinesischen Führung. Diese sei sich der Probleme „so bewusst, wie ich es bei keiner anderen Führung erlebt habe“ und habe eine „klare Entschlossenheit“, sich ihnen zu stellen. Dazu gehörte die Lage der Millionen von Arbeitslosen, die vom Land in die Städte drängten, ebenso wie die Überalterung der Gesellschaft: Geradezu „verzweifelt“ bemühe sich die chinesische Führung um Lösungen.
Köhler ist nicht der erste deutsche Besucher, der über das freimütige Eingeständnis der KP-Politiker staunt. Es gehört in den letzten Jahren zum Standardrepertoire der chinesischen Führung, Mängel einzuräumen. Auch die Tatsache, dass sich inzwischen viele Chinesen in Umweltgruppen und anderen Organisationen zusammentun, dürfte ihn eigentlich nicht überraschen. Dass die Zentralregierung diese Gruppen offiziell duldet, schützt sie allerdings nicht vor Schikanen lokaler Behörden.
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