piwik no script img

Baumsterben am Landwehrkanal

Am Ufer müssen rund 200 zum Teil alte Bäume gefällt werden. Der Grund: Böschung und Mauern bröckeln. Umweltverband kritisiert „Kahlschlag“ und jahrzehntelange Verschleppung der Sanierung

VON CATHERINE KIMMLE UND ULRICH SCHULTE

Am Landwehrkanal droht eine berlinweit einmalige Fällaktion. Nach Plänen des Wasser- und Schifffahrtsamtes (WSA) sollen in Kürze rund 200 teils alte Bäume abgesägt werden. Der Grund: Die Uferbefestigung ist über weite Strecken akut einsturzgefährdet – die Bäume, die oft dicht am Wasser stehen, könnten in den Kanal und auf Fahrgastschiffe fallen, die Böschung abrutschen. Als „Sofortmaßnahme zur Gefahrenabwehr“ müssten die Bäume zur „Entlastung der nicht standsicheren Uferkonstruktion“ weg, argumentiert die Behörde.

Sie hat bereits mehrere Anlegestellen und den Uferrandstreifen auf rund zwei Kilometern gesperrt. Ausflugsdampfer und andere Schiffe dürfen den 149 Jahre alten Kanal wie auf einer Einbahnstraße nur noch in einer Richtung befahren. Taucher des WSA haben festgestellt, dass die Uferwand an vielen Stellen marode ist – das Werk der Wellen durch vorbeifahrende Schiffe. „Die bisherigen Untersuchungen weisen zum Teil erhebliche Gewässerübertiefen vor den Anlegestellen und Ausweichstellen der Fahrgastschifffahrt aus“, teilte WSA-Chef Hartmut Brockelmann mit.

Tatsächlich sind die Anzeichen für die Brüchigkeit der Wände unübersehbar: Am Neuköllner Maybachufer stürzte bereits am 19. April ein Teil der Ufermauer ein, am 9. Mai sackte der Boden am Tempelhofer Ufer in Höhe des Kreuzberger Technik-Museums ab. Damit das nicht noch an anderen Stellen passiert, sollen nun Mauern und Spundwände für 100 Millionen Euro erneuert werden. Die Finanzierung übernimmt der Bund, dem Kanal und Uferbereich gehören – die Arbeiten sollen innerhalb von drei Jahren abgeschlossen sein.

Im Anliegerbezirk Kreuzberg fürchten Anwohner jetzt den Kahlschlag am Kanal. „Das sind zum Teil schöne, alte Bäume, da ist die Betroffenheit natürlich groß“, sagt Ursula Meyer, die Referentin der Baustadträtin. Der Bezirk hat in der Sache kein Mitspracherecht, da ihm die Flächen nicht gehören – zudem sei „Gefahr im Verzug“, so das WSA.

Am kommenden Dienstag müssen als Erstes zwei Pappeln nahe der Waterloobrücke fallen. Wann weitere folgen, weiß man im Bezirk noch nicht. Nur, dass die Fällungen schnell ausgeführt werden müssen. Laut WSA sind überwiegend Weiden, Erlen und Hybridpappeln, aber auch einzelne Eschen und Ahorne betroffen. „Wir werden uns auch die Bäume anschauen. Und gegebenenfalls eine andere Lösung anregen, wenn aus unserer Sicht nicht gefällt werden muss“, so Ursula Meyer.

Das Schifffahrtsamt will jetzt gemeinsam mit Experten den Bestand genau unter die Lupe nehmen. Die zu fällenden Bäume sollen nach Baumart, Alter und Lage dokumentiert werden. Auch Ornithologen werden wegen brütender Vögel um Rat gefragt. Anschließend will die Behörde bei denkmalgeschützten Bäumen eine Ausnahmegenehmigung beantragen.

Denn eigentlich sind Abholzungen in den Sommermonaten laut Baumschutzverordnung verboten. „Die Verkehrssicherungspflicht macht allerdings die Verordnung bei ‚Gefahr im Verzug‘ hinfällig“, sagt Winfried Lücking, Gewässerreferent beim Umweltverband BUND.

Er kritisiert das WSA für seine lange Untätigkeit: „Die momentane Misere ist die Folge davon, dass über Jahrzehnte keine Sanierung stattgefunden hat.“ Eine Abholzung im geplanten Umfang zerstöre nicht nur das Landschaftsbild, sondern sei auch ein großer ökologischer Kahlschlag – trotz der vorgeschriebenen Nachpflanzungen: „Alte Bäume sind ökologisch viel wirksamer als junge. Man müsste viel mehr nachpflanzen als gefällt werden“, so Lücking.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen