: Ikarus tanzt Derwisch-Trance
In Anatolien brachte „Istanbul unter meinen Flügeln“ Ärger mit den Islamisten. Seitdem feiert der kontroverse Historienfilm in der Türkei große Erfolge. Jetzt wird er im Eiszeit gezeigt ■ Von Daniel Bax
Weil Mustafa Altioklar seinen opulenten Kostümfilm, der im Istanbul des 17. Jahrhunderts angesiedelt ist, als Parabel auf religiösen Konservatismus aufzog, entfachte er im vergangenen Jahr einen Sturm der Entrüstung bei denen, die er zu treffen beabsichtigt hatte. Und weil das Werk mit staatlichen Geldern gefördert wurde, wollte der islamistische Kulturminister, kaum hatte seine Partei die Regierung übernommen, die von seinem Amtsvorgänger bewilligten Mittel wieder zurückfordern – ohne Erfolg freilich.
In der Provinz dagegen griff man durch: Der Bürgermeister der mittelanatolischen Stadt Kayseri, auch ein Islamist, warf dem Regisseur Altioklar „Majestätsbeleidigung“ vor und ließ den Film kurzerhand aus dem Programm des örtlichen Kinos verbannen.
Stein des Anstoßes: Sultan Murad IV., der das Reich von 1623 bis 1640 regierte, wird in dem Film als grausam, schizophren und, was weit schwerer wiegt, als bisexuell dargestellt: Mal tätschelt er in einer Szene den Kopf seines jungen Liebhabers, dann wieder sieht man ihn mit gleich zwei Haremsdamen im Bett erwachen. Eigentlich nichts Außergewöhnliches, denn Homosexualität gehörte bekanntermaßen zu den historischen Konstanten am osmanischen Hof. Der wahre Grund für den ganzen Wirbel dürfte daher weit mehr mit der Art und Weise zusammenhängen, in der die religiösen Würdenträger des Osmanenstaats, allen voran der Scheich-ül-Islam, porträtiert werden: Als verbohrte Fortschrittsfeinde, die sich vor intellektueller Auseinandersetzung in leere Koranformeln flüchten.
Ihr Gegenspieler ist der vielseitig bewanderte Forscher Ahmed Celebi, der davon träumt, sich wie Ikarus in die Lüfte zu schwingen. Dieser Ahmed Celebi hat tatsächlich gelebt, und am Galata-Turm in Istanbul erinnert heute noch eine Tafel an seinen ersten Flugversuch. In Altioklars Filmversion ist Celebi ein Mann der Aufklärung, der sich lieber in Derwisch-Trance tanzt als gen Mekka zu verneigen und sich durch und durch der Wahrheit und der Wissenschaft verpflichtet fühlt.
Sein Bruder, der Chronist Evliya, und zwei weitere Freunde sind ständige Begleiter des Helden. Die Intrigen am osmanischen Hof und die politischen Wirren der Zeit liefern die Folie, vor der sich die abenteuerliche Handlung der Historienschmonzette entfaltet. Sich der Bevormundung durch seine Gattin, der Sultanin, entledigend, greift Murad IV. mit brutaler Härte gegen den Konsum von Kaffee, Alkohol und Tabak durch (wohl als Analogie zum heutigen Fundamentalismus gedacht) und läßt Zuwiderhandelnde zur Abschreckung öffentlich aufknüpfen.
Zur Kontrolle zieht er incognito durch die Kaffeehäuser Istanbuls, wo er auch den vier Freunden das erste Mal begegnet. Weil es Celebi gelingt, den Sultan zu überzeugen, daß seine Flugmaschine bei der Kriegsführung von Nutzen sein könnte, hält dieser seine Hand über den Erfinder. Eine schöne italienische Sklavin, die er freikauft und in die er sich später natürlich verliebt, hilft Celebi, Manuskripte zu übersetzen, die von Leonardo da Vinci stammen. Mit Hilfe dessen Skizzen baut er sich die Flügel, mit denen er über den Bosporus segelt – die Erfüllung seines Wunschtraums. An historischen Schauplätzen wie dem Topkapi- Palast gedreht und mit stimmungsvoller Filmmusik unterlegt, ist „Istanbul unter meinen Flügeln“ ein farbenprächtiges Geschichtsspektakel, das seinen Vorbildern, die vor allem in Frankreich zu finden sind, kaum nachsteht. Der Genuß wäre vielleicht perfekt, wenn nicht, besonders am Ende, der mahnende Zeigefinger manchmal überlebensgroß aus der Leinwand ragen würde.
Die Kontroverse hat dem Film natürlich nur genützt, und „Istanbul unter meinen Flügeln“ ist mit einer halben Million Zuschauer als der kommerziell erfolgreichste türkische Spielfilm der letzten Jahre in die Annalen eingegangen – nur noch übertroffen von der Räuberpistole „Eskiya“, die in diesem Jahr in der Türkei die Kinokassen füllt. Um die bemühen sich die Eiszeit-Macher derzeit noch.
„Istanbul unter meinen Flügeln“. Regie: Mustafa Altoklar. Mit Ege Aydan, Beatriz Rico u.a. Türkei 1995. Bis 11.6. im Eiszeit Kino
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