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„Nur die Pille bekommen“

■ Neue Trends wie die „Teenager-Sprechstunde“oder den angedachten Check up für junge Mädchen beim Kindergynäkologen kritisiert die Bremer Frauenärztin Kastendieck

Mura Kastendieck arbeitet als Gynäkologin in einer multiprofessionellen Gemeinschaftspraxis in Bremen. Sie wurde vom Arbeitskreis Frauengesundheit gebeten, zum Trend „Gynäkologie für Mädchen?“Vorträge zu halten und das Thema aufzuarbeiten. Wir sprachen mit ihr über die „Teenagersprechstunde“und Trends in der „Kinder- und Jugendgynäkologie“.

taz: Der Trend, Mädchen in der Gynäkologie zu entdecken, ist doch erstmal nicht schlecht?

Mura Kastendieck: In Bremen gibt es diese Teenagersprechstunden noch nicht. Entstanden ist es aus der Idee heraus, Schwangerschaften bei Teenagern zu verhindern. Das ist eigentlich ein positiver Gedanke. Ich kritisiere aber die Schattenseiten.

Zum Beispiel die enge Zusammenarbeit mit der Pharmazie?

Natürlich. Das ist aber notgedrungen, weil wir Ärzte für solche Projekte anders gar keine Gelder locker machen können. Firmen sollen das Projekt sponsorn – es ist also eine Art Werbeaktion für die Gynäkologie und gleichzeitig für die Pharmazie – sozusagen ein Interessenbündnis, weil die Mädchen zum einen früh an eine bestimmte Arztpraxis gebunden werden undzum anderen als Kundin an die Firma.

Sind Teenager-Schwangerschaften tatsächlich ein Problem?

Bei der Frage der Schwangerschaften geht es darum, ob die Mädchen informiert sind. Und diese Information muß nicht unbedingt ein Mediziner in einer Teenager-Sprechstunde leisten, da gibt es in Bremen noch genügend andere Angebote wie Pro Familia, das Frauentherapie- oder Gesundheitszentrum. Eine Aufklärung soll woanders gemacht werden, zum Beispiel in Schulen, und da sollten auch die Jungen mit einbezogen werden. Wichtiger Punkt dabei ist die Pille, auf die wir Mediziner sehr fixiert sind. Unabhängige Beratungsstellen beziehen andere Verhütungsmethoden stärker mit ein.

Sie befürchten, daß mit der Teenagersprechstunde die Pille protegiert werden soll?

Das ist keine Befürchtung, das ist eine Tatsache. Der Sprechstunden-Erfolg wird an der Anzahl der verordneten Pillen gemessen. Und diese hat sich in der Projekt-Anfangsphase um das Zehnfache gesteigert. Da haben die Mädchen sicher nichts gelernt über Sexualität oder darüber, wie sie sie besser erleben können – wenn alle einfach nur die Pille bekommen.

Die Pille wird jungen Mädchen jetzt schon sehr schnell verschrieben. Wie stehen Sie dazu?

Ich verschreibe die Pille jungen Frauen auch sehr oft. Sie kann sexuelle Erstkontakte erleichtern und Angst nehmen. Aber ich mache immer wieder den Vorschlag, ob sie auch mal etwas anderes probieren wollen. Aber viele Frauen können sich von der Pille schwer lösen – weil es eben so bequem ist.

Die Teenagersprechstunde soll vor allem das Verhütungsproblem angehen. Aber wollen Mädchen denn mit einem/einer Gynäkologin darüber wirklich in aller Ausführlichkeit reden?

Wir sind als Mediziner eigentlich mehr zuständig für Gesundheitsfragen. Die Mädchen kommen mit solchen Problemen zu uns. Wenn Pro Familia eine extra Mädchen- und Jungensprechstunde machen würde, wäre ich sofort dafür. Dadurch kann sich auch eine Schwellenangst vor dem Arzt verringern.

Aber dazu müssen auch die Ärzte etwas tun.

Schwellen-Angst vermeidet man ja auch dadurch, daß alle Frauen ordentlich behandelt werden und nicht schon mit nacktem Hintern auf dem Untersuchunggstuhl sitzen. Wenn Frauen in so einer Situation Scham empfinden, ist das völlig normal und kann für sie auch eine wichtige Schutzfunktion haben.

Halten sich die Ärzte an solche Grenzen?

Ich glaube nicht, daß alle Ärzte den Mädchen zugestehen, daß zum Beispiel Freund oder Freundin bei der Untersuchung dabeisein dürfen. Außerdem untersuchen viele gleich beim ersten Besuch des Mädchens. Ganz viele Kollegen sagen: Ich muß doch wissen, ob da alles in Ordnung ist. Das sind Mediziner, die möglicherweise Angst haben, etwas zu übersehen. Es gibt wenige, die erstmal nur ein Gespräch führen und dann für irgendwann einen Untersuchungs-Termin vereinbaren.

Nicht nur die Ärzte, auch die Mütter spielen eine große Rolle. Die drängen ihre jungen Töchter oft in eine Angstrolle.

Zum Teil haben Mütter wenig Vertrauen in die Töchter, oder sie übertragen eigene schlechte Erfahrungen wie ungewollte frühe Schwangerschaften auf die Töchter – und drängen sie zum Beispiel dazu, die Pille zu nehmen. Da wäre in Zukunft auch eine Mütterberatung sinnvoll.

Ein weiterer Trend wird von der Arbeitsgemeinschaft „Kinder- und Jugendgynäkologie“angestoßen. Sie will, daß Mädchen im Übergang zur Regel zum Check up gehen. Warum ist das nötig?

Natürlich sind keine neuen bedrohlichen Krankheiten aufgetaucht. Aber damit wird argumentiert. Zum Beispiel mit Fehlbildungen, die nicht erkannt werden, oder mit Tumoren, die natürlich extrem selten sind und auch Symptome haben. Ich bin davon überzeugt, daß der Körper mit seinem Meldesystem Bescheid sagt. Aber für kranke Mädchen ist eine Kinder- und Jugendgynäkologin – wir haben seit kurzem eine im Krankenhaus Links der Weser – auf jeden Fall wichtig.

Warum ist diese Vorsorge trotzdem gewollt?

Wir sind noch nicht soweit. Bisher wird es nur ideologisch verbreitet. Wenn es eingeführt werden würde, müßten Statistiken vorgelegt werden, ob es sich im Kosten-Nutzen-Verhältnis tatsächlich lohnt. Glücklicherweise ist das so. Sonst würde ich sofort protestieren.

Fragen: Katja Ubben

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