: An der gleichen Würstchenbude
Wie TV-Formate immer öfter variiert werden. Oder auch kopiert ■ Von Harald Keller
Hamburg, das vielgefilmte, ist von Fernsehkriminalisten mittlerweile nachgerade übervölkert. Und weil einerseits die serielle Phantasie (nicht nur im Vergleich zur kriminellen) als eher begrenzt gelten darf, Experiment und Innovation aber auch immer das Risiko eines Flops in sich bergen, setzen Seriensender und Serienautoren gern auf das Bewährte. Was also läge da näher, als über den großen Teich, über den Kanal oder auch bloß in einen anderen Kanal zu schauen und hernach aus einem originellen Original schnöde Konkurrenz zu machen. Beispielsweise in der freien Hansestadt. Hier verrichten Carla Simon (Muriel Baumeister) und Sema Aslan (Meral Perin) ihren Dienst, eine impulsiv ermittelnde Deutsche und eine beherrscht vermittelnde Migrantin. Sie arbeiten im Team und ergänzen sich prima.
Türkin Sema statt Griechin Sabrina
Seit September ergänzen die beiden Frauen auch das ARD-Vorabendprogramm. „Einsatz Hamburg Süd“ heißt die Serie, und nicht nur der Titel erinnert an die RTL-Produktion „Doppelter Einsatz“ – relevante Merkmale beider Serien sind nahezu identisch. Bei RTL gesellt sich die Griechin Sabrina zur deutschen Kollegin, bei der ARD eine Türkin. Die Charaktere sind nahezu austauschbar, und bei ihrem ersten Einsatz frequentieren Hamburg Süds Heldinnen sogar den von den RTL-Kolleginnen bevorzugten Schnellimbiß.
Die zuständige NDR-Redakteurin Susanne Plasa reklamiert das Format dennoch als hauseigene Entwicklung. Ihrer Meinung nach stimmen die Serien nur insofern überein, als die jeweiligen Hauptfiguren weiblich sind und als Doppel agieren. „Wir wollten auf jeden Fall eine junge Perspektive haben, und da ist man halt auf zwei Frauen gekommen. Wir haben das Projekt entwickelt. Ich weiß gar nicht, ob es ,Doppelter Einsatz‘ schon gab, als der Autor damit angefangen hat.“
Das RTL-Pendant „Doppelter Einsatz“ ist seit September 1994 im Programm, wurde von der Kritik überaus positiv aufgenommen und 1995 unter anderem für einen Grimme-Preis nominiert. Bei RTL reagiert man mit Heiterkeit auf den öffentlich-rechtlichen Nachzügler: „Nur wo ,Doppelter Einsatz‘ draufsteht, ist auch ,Doppelter Einsatz‘ drin“, stichelt Serienredakteur Peter Jännert. Katrin Hoffmann von der RTL-Presse hat zwar „Einsatz Hamburg Süd“ noch nicht sehen können, aber dennoch einen Unterschied ausgemacht: Die RTL-Serie spielt nördlich, die andere südlich der Elbe. Ein zutreffender Einwand, den man eher von der Gegenseite erwartet hätte.
Andererseits haben die Zivilfahnderinnen ihr Wirkungsfeld so präzise gar nicht abgesteckt. Manche Lokalitäten sind demzufolge absolut identisch. Diskrepanzen gibt es hingegen in puncto Qualität. Wo die Autoren von „Doppelter Einsatz“ das Tun der Figuren einigermaßen sorgfältig aus deren Wesen und Biographie entwickeln, fegen in „Einsatz Hamburg Süd“ zwei rabiate Jungpolizistinnen durch den Kiez und blaffen „Verpiß dich!“ Bei Vernehmungen lassen die Kommissarinnen ihre Verdächtigen kaum zu Wort kommen; sie halten ohnehin nicht viel von Unschuldsvermutung, solider Beweisführung und Dienstvorschriften. Dafür muß die zarte Muriel Baumeister ab und an massive Türen eintreten. Läßt sich bei „Doppelter Einsatz“ die exzellente US-Serie „Cagney und Lacey“ als fernes Vorbild ausmachen, scheint „Einsatz Hamburg Süd“ eher von den Rabauken „Starsky und Hutch“ inspiriert.
Auch dort, wo jahrelang der gemütliche und von Aufregungen freie Krimi gepflegt wurde, beim ZDF also, hat man die private Konkurrenz verfolgt und legte mit „Die Kids von Berlin“ eine Version der RTL-Serie „SK Babies“ vor, die ihrerseits auf den US-Erfolg „21 Jump Street“ zurückgeht.
Lebendige Zermürbung statt glamourösen Chics
In diesem Fall aber liegt die Sache anders. Wie in „21 Jump Street“ agierten bei „SK Babies“ schmucke Viva-VJ-taugliche Twens, die dennoch nicht wie ihre US-Vorbilder, darunter der damals noch unbekannte Johnny Depp, zu Jugendidolen aufstiegen. Bei der ZDF-Variante wurde auf Glamour und unangebrachten Chic verzichtet. Dort sind die Protagonisten auch schon mal zermürbt, nicht allen Belangen gewachsen, angespannt oder überarbeitet und damit lebendige, fast schon wirklichkeitsgetreue Menschen. Polizeiarbeit wird hier nicht per se mit Draufgängertum gleichgesetzt und demgemäß auch bei der filmischen Umsetzung auf großes Getöse weitgehend verzichtet.
Gewiß sind die Möglichkeiten der Polizeiserie begrenzt; Susanne Plasa faßt die Spielarten knapp zusammen: „Sie können eine Horde junger Leute zusammenschmeißen wie bei ,SK Babies‘, dann gibt es den einsamen Wolf, den Vatertyp, Mann/Frau, Mann plus Assistent und zwei Frauen.“
Die Kunst der Serienerzählung besteht indes gerade in der Variation elementarer Standards – auch das Auto ist bereits erfunden und steht meistens auf vier Rädern. Erstaunlicherweise kommen dennoch ständig neue Modelle auf den Markt...
„Einsatz Hamburg Süd“, bis 9. Dezember dienstags um 18.55 Uhr in der ARD. „Doppelter Einsatz“ soll 1998 als Reihe neunzigminütiger TV-Filme fortgesetzt werden. „Die Kids von Berlin“, voraussichtlich bis 21. Januar 1998 mittwochs um 19.25 Uhr im ZDF.
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