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Neue Wege ins Jenseits

Pietät auf Gummisohlen: Der marktführende deutsche Bestattungskonzern Ahorn-Grieneisen akquiriert seine zukünftige Kundschaft auch bei Kriminalromanlesern

Freundlich streckt der Bestattungsgigant die Hände aus nach neuer Kundschaft

Im Herbst 2001 erschien der erste Kriminalroman des Berliner Privatgelehrten Tom Wolf im berlin.krimi.verlag: „Königsblau – Mord nach jeder Fasson“ spielt zur Zeit Friedrichs des Zweiten, den man den Großen nennt. Hauptfigur des Romans ist Friedrichs Zweiter Hofküchenmeister Honoré Langustier, der seinem Chef nicht nur größte kulinarische Freuden bereitet, sondern für ihn mit Geist und kriminalistischem Spürsinn eine mörderische Intrige aufdeckt.

Neidisch sein ist das größte Kompliment, das man einem Kollegen machen kann, und voller Neid wollte ich das gut recherchierte und mit sprachlichem Reichtum gesegnete Buch nach dem Auslesen ins Regal stellen, als ich auf der hinteren Umschlagseite las: „Auch Tote brauchen Hilfe. Ein Fall für Ahorn-Grieneisen.“ Was war das? Ich blätterte zurück und fand auf den letzten Seiten des Buches, da, wo die Werbung steht, weitere Indizien für einen seinerseits interessanten Fall. Unter dem Faksimile eines Fingerabdrucks stand zu lesen: „Sie wissen immer vorher, wer der Täter ist? Sie wollen immer wissen, wie alles kommen wird? Wollen Sie wissen, was aus Ihnen einmal werden wird?“

Staunend blätterte ich um und las weiter: „Wollen Sie dem Zufall überlassen, wie Sie eines Tages diese Welt verlassen werden?“ Auf einem Foto war eine junge dunkelhaarige Frau von etwa 30 Jahren zu sehen, die den Kopf nach Art Sabine Christiansens schief legte und ihn in die rechte Hand stützte. Sie trug eine gepunktete Bluse, deren Ausschnitt ihre linke Schulter entblößt ließ. Über die linke Seite ihres Halses fiel eine lockige Haarsträhne. Ihr gegenüber saß ein Mann mit der melierten Grandseigneurausstrahlung, wie man sie von Fotos des Schauspielers Stewart Granger kennt.

So kopfgeneigt verständnisinnig, wie dieser Mann dasaß, seriöselte auch der Text weiter: „Wir glauben, dass es besser ist, über die eigene Bestattung nachzudenken, wenn man keinen unmittelbaren Anlass hat. Denn es ist beruhigend, einmal die Dinge geregelt zu haben. Sie sind sicher, diese Welt eines Tages so zu verlassen, wie es dem eigenen Anspruch entspricht und die Angehörigen nicht zusätzlich belastet. Das braucht kompetente und einfühlsame Beratung. Ahorn-Grieneisen. Auf uns ist Verlass.“

Einfühlsam, ja, das stimmte: brrrr. Schaudernd meinte ich schon, eine tröstende Bestatterhand auf meiner Schulter und einen einbalsamiert öligen Kondolenzblick feuchtwarm auf meinem Gesicht zu spüren, als ich mich erinnerte: Ahorn-Grieneisen, das kannte ich doch! Als ich 1983 nach Berlin kam, hatte die Bestattungsfirma noch Grieneisen geheißen, ohne Ahorn, doch ihre Filialen waren bereits so zahlreich gewesen, dass sie einen Sprayer zu einem Graffito inspiriert hatten: „Schock für Berlin – Grieneisen tot!“ Mittlerweise war Grieneisen zu Ahorn-Grieneisen geworden und, wie man das wohl nennt, Bestattungsmarktführer in Deutschland. Ohne Ahorn-Grieneisen unter die Erde zu kommen, ist nicht leicht, denn auch viele nominell selbstständige Bestatter sind längst der Bestattungskette des Bestattungsdiscounters Ahorn-Grieneisen angeschlossen. Und dieser Bestattungsgigant, Bestattungsriese und Bestattungsmogul streckt freundlich die Hände aus nach neuer Kundschaft: nach Krimilesern, die ja zumindest theoretisch mit dem Tod ebenfalls auf Duzfuß stehen. Mit hohler Stimme ruft sie der Bestattungsdoyen Ahorn-Grieneisen: Gebt mir die Gebeine / Es sind alles meine!

Top-Bestatter eines ganzen Landes wird man nur durch harte Trauerarbeit, und so feilt Ahorn-Grieneisen weiter an seinem öffentlichen Auftritt. In Tom Wolfs drittem Krimi, „Rabenschwarz – Zepter und Mordio“, findet sich eine modifizierte Variante der ersten Anzeige: Statt der nacktschultrig-schutzbedürftigen jungen Frau sieht man nun einen älteren Zausel mit Motorradhaube, hinter dem sein Hund hockt, der eine Art Fliegerbrille trägt. „Wenn ich meine letzte Reise antrete, kümmert euch um meinen besten Freund“, ruft der Motocyclist uns zu – seine Geburts- und Todesdaten sind ebenso angegeben wie die des Tieres: „Siegfried, geboren 27. März 1937, gestorben 30. Juni 2012; Ronja, geboren 7. September 1998, gestorben 2. August 2014.“ Das ist dann quasi Zukunftsmusik.

Auch der Begleittext wurde überarbeitet und endet nun mit der Aufforderung: „Ahorn-Grieneisen – Bleiben Sie sich treu.“ Es gibt sie also, die Möglichkeit, sich über den Tod hinaus selbst treu zu bleiben: bei Ahorn-Grieneisen. Noch besser gefällt mir der ebenfalls neu formulierte Satz: „Dann sind Sie sicher, diese Welt einmal so zu verlassen, wie es Ihren eigenen Vorstellungen entspricht, und Ihre Angehörigen nicht zusätzlich belastet werden“ – klingt er doch, als sei er direkt dem Thomas-Mann-Smash-Hit „Der Tod in Grammatik“ entsprungen.

Gern möchte ich dem Bestattungsmulti einen Werbeslogan verkaufen: „Ahorn-Grieneisen – neue Wege ins Jenseits.“ Übertrieben wäre das nicht: Im Berlin-Schöneberger Haupthaus der Firma fand bereits eine öffentliche Krimilesung statt – im Sarglager, wo die Besucher es sich zwischen Särgen und Leichenhemdchen so richtig gruselgemütlich machen konnten.

Dieser Tage erscheint der vierte Preußen-Krimi von Tom Wolf: „Schwefelgelb – Mörderische Kälte“, wieder mit der Reklame von Ahorn-Grieneisen. Ein fünfter Band ist bereits in Planung, der Titel allerdings steht noch nicht fest. Ginge es nach meinem Wunsch, dann hieße er: „Eisengrien – Sterben ist unser Gewinn.“ WIGLAF DROSTE

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