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Eine Armee für Europa

Um die Verteidigungspolitik voranzubringen, sollen besonders integrationswillige Staaten enger zusammenarbeiten

von SABINE HERRE

Zuerst die gute Nachricht für alle Anhänger einer eigenständigen EU-Verteidigungspolitik: Auch in Zeiten, in denen ein französischer Präsident von einem britischen Boulevardblatt als Wurm bezeichnet wird, sind die politischen Führer beider Länder in der Lage, sich auf den Bau eines gemeinsamen Flugzeugträgers zu einigen.

Und jetzt die schlechte Botschaft: Das britisch-französische Projekt ist ein Beispiel dafür, wie die so genannte Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) schon bald aussehen könnte. Einige wenige Länder, die bereit und in der Lage sind zu einer engeren militärischen Kooperation schließen sich zusammen. Der Rest – wie etwa Staaten, die in ihrer Sicherheitspolitik eher auf Konfliktprävention setzten – bleibt außen vor. „Verstärkte Zusammenarbeit“, „Flexibilität“ oder auch „Kerneuropa“ heißt das im EU-Jargon.

Die Möglichkeit zur verstärkten Zusammenarbeit ist in anderen Bereichen nichts Neues. Bereits im Vertrag von Amsterdam 1997 wurde sie festgeschrieben, drei Jahre später haben die Regierungschefs in Nizza die Bedingungen für einen Zusammenschluss besonders integrationswilliger Staaten erleichtert und auf die Außenpolitik erweitert. Ausdrücklich ausgeschlossen wurde in Artikel 27 des Nizza-Vertrags die Verteidigungspolitik: In der „sensiblen“ Frage von Krieg und Frieden sollte kein Mitgliedsland überstimmt werden können.

Nun aber findet sich im Abschlussbericht der zuständigen Konvent-Arbeitsgruppe die Forderung nach einer „Eurozone der Verteidigung“. Wer sich an dieser nicht beteiligen will, soll sich „konstruktiv enthalten“, die Operation also nicht behindern.

Auf den ersten Blick scheint die angestrebte Flexibilität einen Ausweg aus der „Vielfalt der Situationen“ zu bieten, in der sich die ESVP laut Regionalkommissar Michel Barnier momentan befindet. Elf Staaten gehören der Nato an, vier sind neutral. Ein Mitglied – Dänemark – ist zwar in der Nato, beteiligt sich aber nicht an der ESVP. Einige Armeen und Rüstungsindustrien arbeiten bereits eng zusammen, einige haben ein Berufsheer, die anderen noch Wehrpflicht.

Das größte Problem für den Aufbau einer eigenen militärischen Struktur besteht jedoch darin, dass nur 5 von 15 Mitgliedern für ihre Armee mehr als die angestrebten 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausgeben Nur Paris und London haben ihre Verteidigungsausgaben erhöht, in den meisten Staaten werden sie dagegen gekürzt.

Zugleich aber ist man sich im Konvent weitgehend einig, dass die „Petersberg-Aufgaben“, in denen die künftigen Einsatzbereiche der EU-Truppe formuliert sind, ausgeweitet werden sollen. Zu „humanitären Rettungseinsätzen, friedenserhaltenden Aufgaben sowie Kampfeinsätzen bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen“, wie es in Artikel 17 EU-Vertrag heißt, sollen nun unter anderem Konfliktverhütung und Unterstützung bei der Terrorismusbekämpfung auch in Drittstaaten hinzukommen.

Das Münchner Centrum für angewandte Politikforschung (CAP), das die Arbeit des Konvents begleitet, hat vier Bereiche ausgemacht, in denen verstärkte Zusammenarbeit funktionieren könnte. So soll es erstens „auf Dauer angelegte Integrationsprojekte“, wie etwa die jetzt auch von der Kommission vorgeschlagene Rüstungsagentur, geben. Zweitens müsse die EU in der Lage sein, in Krisen schnell zu reagieren. Hierfür sollen Ad-hoc-Koalitionen gebildet werden, die man nach Beendigung der militärischen Aufgaben wieder auflöst.

In einem dritten Punkt schlagen die Wissenschaftler eine „Differenzierung als Katalysator der Finalität“ vor. Hinter diesem Wortungetüm verbirgt sich ein Ziel, das weit über die verstärkte Zusammenarbeit hinausgeht – und wohl das Ende der jetzigen EU bedeuten würde. Um die Integration wirklich voranzubringen, müsse es möglich sein, auch außerhalb der existierenden Verträge zu handeln. Nur auf diese Weise könne eine „genuin europäische Armee“ aufgebaut werden.

Demgegenüber birgt der letzte Punkt des CAP-Papiers wenig Sprengstoff. Drittstaaten, die auf absehbare Zeit keine Chance haben, in die EU aufgenommen zu werden, sollen die Möglichkeit zu verstärkter Partizipation an gemeinsamen Aktionen erhalten. Anders ausgedrückt: Staaten wie die Ukraine oder Albanien dürfen sich zum Beispiel an der EU-Friedenstruppe in Bosnien beteiligen. Ähnliches wurde bereits beim Gipfel in Helsinki 1999 beschlossen.

Doch ist es wirklich denkbar, dass Kiew oder Tirana Soldaten nach Bosnien entsendet, Athen oder Rom aber nicht? Genau an dieser Stelle wird deutlich, warum es bisher nur wenige politische Bereiche in der EU gibt – das Schengener Abkommen und den Euro –, in denen sich eine Gruppe von Staaten für mehr Integration als andere entschieden hat. Soviel Widerstand es auch stets gegen die Vertiefung der Gemeinschaft gibt, letztendlich will doch jeder dabei sein. Daher sehen viele Politiker und Wissenschaftler das Prinzip der verstärkten Zusammenarbeit letztendlich als Druckmittel. Allein die Erwähnung genügt, um eine Blockadesituation aufzulösen.

Weitgehend ungelöst ist auch die Frage, ob ein Staat eine einmal getroffene Entscheidung für die Gruppenbildung wieder rückgängig machen kann. Zwar kann man das Schengener Abkommen kündigen und wieder Grenzkontrollen einführen. Die Rückkehr zu Mark und Lira schient da schon weniger wahrscheinlich. Und was wird aus einer EU-Armee, wenn Großbritannien auf einmal nicht mehr mitmacht? Auf diese Frage, so François Heisbourg, einer der Mitverfasser des Papiers, in dem sich der deutsche und der französische Außenminister für eine verstärkte Zusammenarbeit bei der ESVP aussprachen, gebe es bisher keine Antwort.

Zuletzt jedoch sollte gerade der europäische Streit in der Irakkrise die Befürworter der verstärkten Zusammenarbeit zum Nachdenken bringen. Denn welche Folgen hätte es für die EU, wenn sich in ihr zwei Gruppen von Staaten bilden, die jeweils unterschiedliche Ziele verfolgen? Dann hätte Europa zwei Kerne oder gar keinen mehr.

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