: Heimliche Machtübernahme
Die Regierung in Sri Lanka nutzt die Katastrophe aus, um in die Flüchtlingscamps im Rebellengebiet vorzudringen
COLOMBO taz ■ Während Medien, Zivilgesellschaft und Politiker fast ausnahmslos dazu aufrufen, Einigkeit in der Katastrophe zu zeigen, brach die Regierung völlig unerwartet einen neuen Konflikt vom Zaun. Auf Befehl von Präsidentin Chandrika Kumaratunga begann die sri-lankische Armee am Mittwoch, die Lager mit den Opfern zu übernehmen. Über 700.000 Menschen verloren bei der Flut nach jüngsten Schätzungen ihr Heim.
Erste Berichte über das Eindringen der Armee kamen aus Trincomalee an der Nordostküste, wo die Tamil Rehabilitation Organisation (TRO), der Ableger für Humanitäres innerhalb der Befreiungsorganisation LTTE, 18 Camps leitet. Bewaffnete Soldaten sollen erklärt haben, ab sofort sei die Armee für die Lager zuständig. Daraufhin sollen sie die Schlüssel zu den Warenlagern verlangt haben. Die TRO, die anfangs der Meinung war, die Maßnahme richte sich nur gegen sie, nicht aber gegen die Flüchtlinge, appellierte an Jayantha Dhanapala, den Friedenssekretär der Regierung, er möge die Präsidentin umstimmen.
Auch R. Sampanthan, Parlamentsabgeordneter der LTTE-nahen Partei Tamil National Alliance (TNA) richtete einen Protestbrief an die Präsidentin: „Die Menschen in diesen Zentren sind gegen diese Übernahme, und in einigen ist die Stimmung äußerst gespannt.“ Bei der jüngsten Sitzung der regionalen Koordinationsgruppe war noch bestätigt worden, dass sich die TRO und andere NGOs weiterhin um die Flüchtlinge kümmern sollten. Man dürfe nicht vergessen, so der Abgeordnete in seinem Schreiben, dass die Armee aus Singhalesen bestehe, und viele Tamilen die Gräueltaten dieser Soldaten nicht vergessen hätten. Er forderte dringend die Rücknahme dieses Befehls.
Lasantha Wickrematunge, der Chefredakteur der regierungskritischen Sonntagszeitung Sunday Leader, fürchtet um den Frieden: „Die LTTE wird sich fragen, wozu das Waffenstillstandsabkommen gut ist, wenn die Armee jetzt in ihre Einflussgebiete einbricht.“
Aus mehreren Lagern seien Fälle sexueller Belästigung gegenüber Frauen gemeldet worden, deswegen müsse die Armee für Ordnung sorgen – so lautete eine der Erklärungen für die umstrittene Einschaltung der Armee. Doch gerade dort, wo die LTTE das Sagen hat, herrscht besondere Disziplin.
In Regierungskreisen war in den letzten Tagen die große Autonomie der LTTE-Strukturen beim Management der Katastrophenhilfe im Norden und Osten kritisiert worden. Anfang der Woche hatte eine italienische Delegation zur Empörung der sri-lankischen Regierung sogar zehn Lkw-Ladungen staatlicher Hilfe direkt in das LTTE-kontrollierte Gebiet gebracht und den Rebellen der Tamil Tigers übergeben. Alle, die die selbst verwalteten Gebiete besucht haben, lobten die Effizienz der Rebellen bei den Aufräumungsarbeiten und der Opferversorgung, während aus dem Süden immer wieder über Missbrauch, Korruption und chaotische Zustände berichtet wird. Die Präsidentin hatte auch mit Sorge beobachtet, wie die linksnationalistische JVP, der kleine Koalitionspartner, an der Südküste versuchte, die Güterverteilung zu übernehmen.
Dr. Vinya Ariaratne, einer der Leiter der Friedensorganisation Sarvodaya, bestätigte, dass alle NGOs und sogar die Religionsgemeinschaften in allen zwölf Distrikten betroffen seien. Wenn es um Ruhe und Ordnung gehe, sei die Polizei zuständig, nicht die Armee. Und S. Pulideevan, der Leiter des LTTE-Friedenssekretariats, macht sich unterdessen Sorgen, dass eine zu mächtige Armee irgendwann auf die Idee kommen könnte, selbst die Macht zu übernehmen: „Was hier gerade passiert, ist eine Vorbereitung für eine Militärdiktatur.“
RALF LEONHARD
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