Wand und Boden: Kleine Krieger
■ Kunst in Berlin jetzt: Miller, Metzel, Rheinsberg, Rohloff
Indianer, Polizisten, Cowboys, Rocker und Bauarbeiter zitiert eine Stimme vom Band herbei – es sind lauter Village People und Alltagsbilder, die bei John Miller in die künstlerische Produktion fließen. Der Taperecorder ist Teil einer Installation in der Galerie Barbara Weiss, für die Miller einen Schreibtisch mit seinen Arbeitsmaterialien gedeckt hat. In der Mitte thront Elvis als Pop- Ikone, von Spraylackdosen und Farbrollern umgeben. Auf einem zweiten Podest steht ein Stuhl, und man kann sich aus dem Wechselspiel der beiden Arrangements die Situation im Atelier zusammenreimen. Miller arbeitet literarisch und konzeptuell: Für „The Middle of the Day“ hat er in mehreren Großstädten zwischen 12 Uhr mittags und 2 Uhr nachmittags Fotos gemacht. Ein Schlipsträger huscht unscheinbar im Anzug über die Straße, in der rechten Hand hält er eine Take-Away- Tüte; eine Familie spielt im Tiergarten Federball, und auf einem weiteren Bild sitzen zwei Jogger schläfrig auf einer Bank im Park. Dazu Miller: „Ich persönlich empfinde diese Tageszeit als die deprimierendste, aber meine Reaktion ist wohl nicht vollkommen subjektiv oder willkürlich. Das ist nämlich auch die Tageszeit, in der die meisten Leute eine Pause machen, essen müssen usw.“. Die betont unspektakulären Fotos stehen im Gegensatz zur Produktion des Künstlers: Seine Arbeit ist die Freizeit der anderen. Ohne sich über das „Alltagsleben der Massen“ erheben zu wollen, dokumentiert der in New York und Berlin lebende Miller, wie aufgrund westlicher Arbeitsmoral die Mittagsruhe immer mehr verkümmert ist. Nirgends scheinen die Leute sich erholen zu können. Die Kritik am Kapitalismus wirkt jedoch nicht auf allen Fotos plausibel. Die Fußgänger auf der Lafayette Street im Galerienviertel von New York könnten auch SoHo-Touristen sein.
Bis 22.7., Mo-Fr 12-18, Sa 11-14 Uhr, Potsdamer Str. 93.
Wenn von Ausfegen die Rede ist, kann Joseph Beuys nicht weit sein. Bei Olaf Metzel ist die Aktionskunst (Beuys' Griff nach dem Kehrbesen im Anschluß an die 1.Mai-Demonstration) auf der Straße monumental erstarrt. Bis zum 16.6. zeigt der Daad Zeichnungen und Modelle zu Metzels Projekten für den öffentlichen Raum. Die konstruktivistisch verschlungenen Absperrgitter, die er während der 750-Jahr-Feier Berlins am Kudamm aufgetürmt hatte, sind ebenso en miniatur vertreten wie die niedlichen Wurfeisen und Zwillen für die Hamburger Hafenstraße von 1990 oder das kunstvoll nach C.D. Friedrichs Eismeer zerlegte Basketballfeld „112:104“, das Metzel zur „Metropolis“-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau realisieren durfte. Was als Mahnmal zum Häuserkampf funktioniert haben mag, wirkt in kleinen Glasvitrinen auf naturbelassenen Sperrholzsockeln – sorgsam zusammengelötet und mit Zeitungsschnipseln beklebt – ein bißchen albern. Wie hübsch hergerichtete Puppenhäuser sehen die Modelle zu jenem künstlerischen Unternehmen aus, über das Walter Grasskamp in einem „Der Bürgerkrieg als Dienstleistung“ betitelten Kapitel schrieb: „Und noch in der klinischen Präsentation im Galerieraum oder vor Ort ist, nachdem der Staub weggewischt und die Trümmer geordnet oder beseitigt wurden, der unerhörte Umgang mit dem Material spürbar, vielleicht sogar spürbarer als während der Zerstörung selbst.“ Mittlerweile ist Metzel vom symbolischen Terroristen zum Rektor der Münchner Kunstakademie aufgestiegen, seine Wendeltreppe im Stil von Tatlins Revolutionsturm ziert das dortige Goethe-Institut; die Arbeit „Im Grünen“ wurde für die Sammlung der Deutschen Bank AG angekauft, und die jüngsten Stahl-Arkaden sind für die zukünftigen Bundestagsgebäude entworfen worden. Eine Kunst mehr am Bau.
In einer öffentlichen Halle ist nie ein Mensch zum Fegen da, tgl. 12.30 - 19 Uhr, Kurfürstenstraße 58.
Anders als Olaf Metzel trägt Raffael Rheinsberg seine Fundstücke von der Straße gleich ins Museum. Im Rahmen ihrer wechselnden Ost-West-Kombinationsausstellungen hat die Neue Nationalgalerie seine Installation „Documenta der kleinen Arbeiten, 1987-1994“ für den Bestand zeitgenössischer Kunst erworben, die nun bis zum 2.7. parallel zu Gummi-Objekten von Maren Rohloff präsentiert wird. Rheinsberg folgt den räumlichen Vorgaben: Minutiös auf die Grundmaße eingehend, sind 297 industriell gefertigte Bauteile zu einem Quader im Untergeschoß ausgelegt worden. Sie lassen einen schmalen Gang frei, auf dem das Publikum die Installation abschreiten kann. Die massenhafte Verwendung verleiht den recht unbedarften Teilchen aus dem Getriebe figürliche Züge, sie sehen wie kleine Krieger der industriellen Revolution aus. Das ganze balanciert auf dem schmalen Grad zwischen dreister Inszenierung im musealen Kontext (ähnlich den Arbeiten von Büro Berlin in den achtziger Jahren) und Verniedlichung der Produktion. Stahlstifte recken sich in die Höhe, Messingzwingen schauen dich an. Wo Rheinsberg mit Ironie arbeitet, versteift sich Maren Rohloff ganz auf die Poesie der Elemente. An ihren Gummistatuen und -Wandbehängen dominiert vor allem die Farbe des Materials. Anthrazit unter einem weißlichen Schleier aus Talg. Rohloff benutzt Schläuche aus LKW-Reifen, die sie zu Zylindern verschweißt, zopfartig vertäut oder zu Netzen zerschneidet. Mitunter türmen sich Objekte wie etwa die überdimensionale „Wulpe“ recht ungelenk und klobig auf Sockeln empor. Die Leipzigerin spielt mit dem Wechsel aus Umhüllung und von innen nach außen gewendeter Hülle. Das aber ist als Auseinandersetzung mit Raum und Umraum in der Bildhauerei eher ein Standard.
Di-Fr 9-17, Sa/So 10-17 Uhr, Potsdamer Str. 50.
Harald Fricke
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