: Frau Ratzeburg schweigt Lesben tot
■ Erstmals und zweimal „Frauen und Fußball“: Einmal Wischi, einmal Waschi
Die Spuren jener Frauen verfolgen zu wollen, die sportlich das Gegenteil von Ballett gewollt hatten, war bislang sehr kompliziert. Der Blick in Nachschlagewerke beispielsweise erweist sich als unersprießlich. Im „Fußball Lexikon“ (1991) finden sich unter „Frauenfußball“ 19 Zeilen, so viele wie unter „Ozeanien Cup“. Die „Fußball Weltgeschichte“ nippt zwar kurz an der Existenz von Frauen-EM und -WM, verliert jedoch kein Wort über die krassen Verbote weiblichen Kicks in England (durch die Football Association 1921 bis 1971) oder in der Bundesrepublik (durch den DFB 1955 bis 1970). Nach 25 Jahren DFB-erlaubtem Kicken sind nun zwei sehr unterschiedliche Werke über Frauen und Fußball erschienen.
„Das erste Buch zum Thema“ (Verlags-Info), Beate Fechtigs „Frauen und Fußball“, zählt zu jenen sehr raren Publikationen, die sich im Fanbus so gut lesen lassen wie unter der Trockenhaube. Es kommen fast ausschließlich Frauen zu Wort, die dem Volkssport Nummer 1 auf vielfältigste Weise verbunden sind: als Spielerin, Trainerin, Funktionärin, Schiedsrichterin, Reporterin, Spielerfrau und natürlich als Fan (Nadine Stephan: „Ich liebe den BVB, und ich brauche ihn.“)
Der Erzählton ist hier entspannt, manchmal distanziert. Im Märchenonkeljargon der zahllosen WM-Ziegel und Starbiographien, welcher üblicherweise die männlichen Fußballmythen fortschreibt, ist hingegen „Frauen Fußball Meisterschaften“ gehalten. DFB-Präsidiumsmitglied Hannelore Ratzeburg und Sportjournalist Horst Biese haben ein Buch für jene geschrieben, die wissen oder daran erinnert werden wollen, wie Trainer Ferdinand Stang den Spielerinnen der „SG Oberst Schiel“ zeigte, wie Fußball geht, welches Team 1986 die Meisterschaft der Regionalliga West errang und so weiter. Kritik klingt bezeichnenderweise allein im von Doreen Meier verfaßten Kapitel zum „Frauenfußball in der DDR“ an, das mit der tiefgründigsten Perspektive des Buches endet: „Als der Frauenfußball in der DDR endlich Anerkennung fand, hörte die DDR auf zu existieren.“
Im Gegensatz zu Ratzeburg widmet Fechtig der „Geschichte des Frauenfußballs“ immerhin ein Kapitel, in dem wir erfahren, daß es Nettie Honeyball (!) war, die 1894 das erste englische Frauenfußballteam gründete, oder daß es Anfang der 20er Jahre einen englischen Frauenfußball-Boom gab (53.000 ZuschauerInnen bei Dick Kerr's Ladies gegen die St. Helens Ladies). Beim Lesen wird klar, daß sich die Schaffung von Tatsachen im Fußball wie jüngst beim Amateurboxen als erfolgreiche Strategie zur Etablierung des weiblichen Sports erwies. Nach der Legalisierung in den 70er Jahren provozierten erst von Frauen verbandsunabhängig durchgeführte nationale, Europa- und Weltmeisterschaften die schnelle offizielle Adoption durch den DFB.
Dies ist ein Areal, das von Ratzeburg/Biese nicht betreten wird – freilich nicht das einzige. Im Fechtig-Band finden sich nämlich auch zwei Beiträge zu den nicht nur in der Ratzeburg/Biese-Produktion verschwiegenen „Lesben im Sport“. Eine plausible Konzeption, da selbst die nicht zur Übertreibung neigende DFB-Trainerin Tina Theune-Meyer schätzt, daß 20 bis 40 Prozent der Fußballerinnen Frauen lieben. Die Reportage schildert unzählige Fälle aus den Niederungen des Hardcore-Chauvinismus, mit denen sich kickende Lesben und Frauen, die dafür gehalten werden, konfrontiert sehen. Die Veröffentlichung einer Publikation „Schwule und Fußball“ scheint nach dieser Lektüre noch in 100 Jahren unrealistisch.
Schlicht „Begleiten“ betitelt sind jene Seiten Fechtigs, die darüber informieren, was die unsichtbaren Hälften der Helden unserer Väter und Freunde so treiben. Von Zufriedenheit, aber auch leisen Dramen aus einem Milieu ist hier zu lesen, in dem Wäsche und Abwasch kampflos von den Frauen erledigt werden, und in dem die Beziehung zwischen Sandra Lenninghaus und Martin Kree allein deshalb als die „etwas andere“ gilt, weil sie arbeitet und die beiden nicht verheiratet sind.
Verringert wird der Unterhaltungswert des Taschenbuches allein durch Fechtigs manchmal unnötig weichzeichnerischen Kommentar. Ein Satz wie „Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte“ steht wenig hilfreich da, wenn die zudem sehr kurzsichtige Frage geklärt werden soll, ob ungeeignete Moderatorinnen oder machistische Umtriebe am Scheitern der Frauen im „ZDF- Sportstudio“ schuld sind. Warum reicht es nicht, Einschätzungen von Sportjournalistinnen unkommentiert stehen zu lassen wie im Info-Kasten zum „Fall“ Christine Reinhart? Ganz abgesehen davon, daß die Wahrheit selbstverständlich nie in der Mitte zu finden ist. Claudia Thomsen
Hannelore Ratzeburg/Horst Biese: „Frauen Fußball Meisterschaften“. Agon-Verlag. 120 S., 36 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen