: Qualifizierte Arbeit, wenig Lohn
Behindertenwerkstatt als Kompromiß, der dennoch wirtschaftlich lohnt ■ Von Stefanie Winter
Die rund 600 Beschäftigten der Hamburger Werkstatt arbeiten 35 Stunden pro Woche, haben Anspruch auf mindestens 31 Tage Urlaub im Jahr und auf ein kostenloses Mittagessen jeden Tag, sind sozial- und rentenversichert und werden individuell betreut. Mit durchschnittlich 355 Mark monatlich verdienen sie allerdings „schändlich wenig“, räumt Geschäftsführer Dietrich Anders ein. Die Werkstatt für Behinderte wird zwar von Sozialbehörde und Arbeitsamt finanziell gefördert; die Bezahlung der behinderten Beschäftigten aber erfolgt aus Produktionserlösen.
Und die sind in den vergangenen Jahren gesunken, erklärte Anders gestern während einer – der ersten – Bilanzpressekonferenz der Werkstatt. Zur Zeit aber sei die Beschäftigungslage hervorragend und eine Lohnerhöhung geplant; die Werkstatt profitiert dabei von der wackeligen wirtschaftlichen Situation der Hamburger Industrie. Statt dort neue Leute einzustellen, werden Teile von Aufträgen extern vergeben. Und auch Hilfsarbeiten führten „normale“ Unternehmen wegen ihrer stetig wachsenden Spezialisierung aus Kostengründen seltener selbst aus.
Mit „Tütenkleben“ – noch immer ein gängiges Klischee für Beschäftigungsmöglichkeiten für Behinderte – hat die Arbeit bei der Hamburger Werkstatt dabei wenig zu tun. Die Ausstattung der verschiedenen Werkstätten muß mit den hohen technischen Standards der Industrie kompatibel sein. Neben einer Näherei für Berufskleidung, Elektromontage- und Metallarbeiten werden EDV-Dienstleistungen, industrielle Qualitätskontrollen, Verpackungsarbeiten und Catering für Großküchen und Kantinen angeboten. In der Tischlerei fertigen die Beschäftigten Büro- und Schulmöbel und komplette Küchen an.
Mit mehr als 50 Auftraggebern aus der privaten Wirtschaft arbeitet die Hamburger Werkstatt zusammen; hinzu kommen Behörden und öffentliche Unternehmen. Die Werkstatt biete qualifizierte Arbeit und ebensolche Arbeitsplätze an, sagt Anders. Dennoch ist die von der Sozialbehörde angenommene Kapazitätsauslastung von 95 Prozent derzeit nicht erreicht. Ein Teil der Arbeits- und Ausbildungsplätze in der Einrichtung ist nicht besetzt. Kritiker monieren, daß sie eine Integration der Behinderten in den allgemeinen Arbeitsmarkt verhinderten. Die Einrichtung will zukünftig stärker in den Schulen für sich werben und Praktika anbieten.
„Die verstärkten Integrationsbemühungen in den Schulen wecken Hoffnungen, die der Arbeitsmarkt nicht befriedigen kann“, sagt Anders. Werkstätten für Behinderte seien zwar ein Kompromiß, der sich aber auch volkswirtschaftlich lohne: Eine alternative Rund-um-die-Uhr-Betreuung der Betroffenen käme die Gesellschaft sehr viel teurer zu stehen. Für bundesweit rund 140.000 Menschen seien die Werkstätten die einzige Möglichkeit, berufstätig zu sein. Und mit den 100 Mitarbeitern, die die Hamburger Werkstatt in den vergangenen zwölf Jahren in den „ersten“ Arbeitsmarkt vermittelt hat, nehme sie bundesweit die Spitzenreiterposition ein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen