: Zu heiß gebadet?
■ Hat Andeas L. eine Einjährige mißhandelt oder war es ein Unfall?
Andreas L. sagt lieber nichts. Der 35jährige – braungebrannt, Bodybuilderfigur, die spärlicher werdenden Haare sorgfältig zurückgekämmt – läßt seinen Verteidiger für sich sprechen. Das hat seinen Grund: Für den Bremer Amtsrichter ist er kein Unbekannter. Körperverletzung, sexueller Mißbrauch, Zeugenbeeinflußung, so lauten frühere Anklagen gegen ihn. Auch die Schutzpolizisten im Zuschauerraum kennen ihn: Mit dem Handy in der Linken und dem Rottweiler zur Rechten spazierte er gerne durch die Straßen von Walle.
Der Vorwurf gegen Andreas L.: Fortgesetzte Kindesmißhandlung. Er soll die einjährige Tochter seiner damaligen Freundin immmer wieder massiv geschlagen haben. Weil Mutter und Kind bald nach der Tat in ihr Heimatland Polen zurückgegangen und dort nicht aufzufinden waren, kommmt der Fall erst jetzt, dreieinhalb Jahre später, zur Verhandlung. Entsprechend verschwommen sind die Erinnerungen der Zeugen: Keiner der Polizisten weiß noch Genaues – nur daß der Angeklagte stark geschwitzt hat, hat einer über drei Jahre nicht vergessen.
Eine blasse junge Frau, eine Freundin, tritt für den Angeklagten ein: Andreas L. habe immer alles für die kleine Martha getan. Daß er sie geschlagen hat – nein, das kann sie sich nicht vorstellen. Das sieht Frau P., die Nachbarin, ganz anders. Sie erinnert sich, wie es an einem Abend kurz vor Weihnachten 1992 an ihrer Wohnungstür Sturm klingelte. In Tränen aufgelöst stürzte die junge Polin in die Wohnung und drückte Frau P. ihr lebloses Kind in den Arm. Der herbeigerufene Notarzt ließ das Mädchen ins St.-Jürgen-Krankenhaus einliefern. Dort wurden Prellungen und blaue Flecken am ganzen Körper festgestellt. Auf Befragen des Richters erzählt die korpulente Frau noch ausführlicher: Seit dem Herbst des Jahres lebten Mutter und Kind mit dem Angeklagten, der für seinen Putzfimmel bekannt ist, in der engen Zwei-Zimmer-Wohnung. „Damit wir eine richtige Familie sind“, soll er gesagt haben. Bald kam es zu Streitereien. Immer wieder hörte Frau P. Martha schreien. Sie habe den Angeklagten mehrmals darauf angesprochen und einmal sogar die Polizei gerufen. Solange nichts vorgefallen war, konnte oder wollte die aber nichts unternehmen. Nicht er habe die Kleine geschlagen, sondern seine Freundin, läßt Andreas L. durch seinen Verteidiger mitteilen. Außerdem sei sie einmal aus dem Gitterbett gefallen, einmal durch den Kinderstuhl gerutscht, und einmal habe sie in der Wanne versehentlich einen zu heißen Wasserstrahl erwischt. Resigniert stellt der Richter fest, daß so lange nach der Tat und ohne die wichtigste Zeugin – keine Klarheit mehr zu schaffen ist. Wenn der Angeklagte, der schon drei Monate in Untersuchungshaft gesessen hat, auf seine Haftentschädigung verzichtete, will er das Verfahren einstellen. Nur ungern, betont er, und daß das kein Freispruch ist. Andreas L. ist einverstanden. Über seinen Verteidiger läßt er seinerseits seine Unschuld betonen. Die Strafe nehme er nur an, weil er einsehe, daß er seine gewalttätige Freundin am Schlagen hätte hindern müssen. ar aro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen