: Politik der Körper
■ Ein 68er-Aufklärungsbuch soll indiziert werden
Die spießbürgerliche Idylle feiert Wiederauferstehung: Das Jugendamt Frankfurt will das Aufklärungsbuch „Zeig mal!“ verbieten lassen, die Junge Union gibt Geleit.
Daß „mein Bauch mir“ gehört, ist ein Leitmotiv der Linken. Der nackte, der unversehrte Körper war eine entwaffnende Waffe gegen Professoren, Richter und Polizisten, auch gegen die Bilder aus Vietnam. Das wußten die Frauen, die 1967 im Hamburger Amtsgericht mit entblößten Oberkörpern die „Ballade von den asexuellen Richtern“ vortrugen, oder die Kommunarden der K 1, die sich in Berlin – Arme und Beine miteinander verschränkt wie ein Jägerzaun – bei der „Darstellung einer Durchsuchungaktion“ ablichten ließen. Sieben Ärsche von Männern und Frauen. Und ein ganz kleiner Arsch von einem Kind, das den Kopf zum Fotografen dreht und so der barschen Erotik der Szene ein Gesicht gibt. Gerade Natürlichkeit will gelernt sein.
Die Antiautoritären begriffen am schnellsten, daß der Körper die Gesellschaft im Kern konstituiert, und deshalb erfanden sie, mit cleveren Fotografen, ihre Bilderwelt. Von diesen Leuten war zu lernen, was provoziert und was süß ist, wo Banalität an Sehnsucht grenzt. Und nicht zuletzt: wie Nacktheit zu besetzen ist, ohne daß man sich kompromittiert.
Der Fotograf Will McBride, von dem die „Zeig mal“-Bilder stammen, war an dieser Entdeckung des Körpers als gesellschaftlichem Eigenen wesentlich beteiligt. Von ihm stammen die genialen Aufnahmen ausgelassener junger Erwachsener aus dem twen-Magazin in den 60ern. Er fand auch die Bilder, um Ehe und Schwangerschaft als romantisches Projekt zu beschreiben. Und als die freien Kinder der freien Eltern mit ihrem „Zeig mal!“ kamen, formulierte er die behutsame und klare Antwort.
Vielleicht ist es von der Jungen Union zuviel velangt, das zu begreifen. Für die Linke wäre der groteske Indizierungsversuch eine Chance, sich zur Tradition der Bilder zu bekennen, die sie selbst hervorgebracht hat: Unsere Ärsche gehören uns. Die Öffentlichkeit war immer unsere Stärke. Die Bilder unserer Körper sind keine Schmuddelware. Wenn sie als Buch verboten werden, gehören sie auf Transparente. Ulf Erdmann Ziegler
Tagesthema Seite 3
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