: Knapp am Knast vorbeigekommen
■ Ukrainer, angeblich von Polizisten bestohlen, als Zeuge vor Verhaftung
Wer als Zeuge aussagen soll, ist selbst vor einer eigenen Festnahme nicht gefeit. Diese Erfahrung mußte gestern Igor P. machen. „Wir müssen Sie festnehmen“, kündigten zwei Kripobeamte im Gerichtssaal an – als Igor P. gerade im Zeugenstand Platz nahm.
Als Zeuge war Igor P. geladen und hatte sich von der fernen Ukraine auf den Weg zur kleinen Strafkammer im Bremer Landgericht gemacht. Als Zeuge gegen zwei Polizisten, die ihm im April 1994 39.000 Mark gestohlen haben sollen. So jedenfalls lautet die Anklage der Bremer Staatsanwaltschaft, die der Berufung einer Staatsanwältin stattgab. Diese hatte gegen den Freispruch der beiden Polizisten Widerspruch eingelegt – wegen mangelhafter Beweisaufnahme beim Prozeß im vergangenen Jahr. Glaubwürdig sei der Zeuge Igor P. gewesen – eine Einschätzung, die die Verteidiger jedoch nicht teilen.
Mit barschen Vorhaltungen hieb gestern Rechtsanwalt Bernd Stege auf den Zeugen ein: „Wie soll denn so einem geglaubt werden, daß er von Polizisten bestohlen wurde?“ Schon im Vorfeld hatte die Verteidigung schwere Geschütze gegen Igor P. aufgefahren und eine neue Version des Tatvorgangs an die Öffentlichkeit gebracht: Der Ukrainer soll die beiden Polizeibeamten bestochen haben, und deshalb stellte die Verteidigung Strafanzeige – wegen Bestechungsversuches der beiden Polizeibeamten.
Knackpunkt ist dabei der Vorfall vor dem Polizeiauto. Abgeholt hätten die beiden Beamten Igor P. bei Karstadt als vermeintlichen Kaufhausdieb. „Dann haben wir ihn durchsucht, ihm die Geldpäckchen aus der Tasche gezogen und uns in das Polizeiauto gesetzt“, erzählt Polizist Thomas S. „Wir haben das Geld genommen, weil wir den Verdacht auf Falschgeld hatten.“ Nach einer Fahrt zu einem Schließfach von Igor am Hauptbahnhof hätten sie nichts Wichtiges gefunden – sie wollten Igor laufen lassen. Doch der stand vorm Fahrerfenster und habe „Money, Money“ geschrien, erzählt Thomas S., „der wollte uns mit Geld bestechen, damit wir von der Diebstahlanzeige ablassen.“
„Äußerst zweifelhaft“, findet Zeugenbeisteher Bernhard Docke diese Version. „Die Szene am Autofenster kann man auch ganz anders interpretieren“, erklärt Docke. Doch für Verteidiger Bernd Stege war klar: Gegen Igor P. liegt der Verdacht der Bestechung vor, der Staatsanwaltschaft flatterte eine Strafanzeige auf den Tisch. Doch zunächst ging dieser Gegenschlag nicht auf. Denn die Staatsanwaltschaft ermittelte nicht. Deshalb jagte Stege noch eine weitere Strafanzeige hinterher – wegen Strafvereitelung der zuständigen Staatsanwältin im Amt.
Und gestern schien die Staatsanwaltschaft dann doch kalte Füße zu kriegen. Der Ukrainer war da und Staatsanwalt Dützschhold nutzte die Gunst der Stunde, um seine Kripobeamten zur Festnahme des angezeigten Bestechers in den Saal zu schicken. Doch zwanzig Minuten später zog er diesen Festnahmeversuch voreilig zurück. Denn ein wütender Docke hatte ihm seine Meinung geblasen. Jetzt stehen beiden Polizisten noch zwei Verhandlungstage ins Haus – danach darf Igor P. wieder in die Ukraine fahren. „Er muß Geld hinterlegen und wiederkommen, wenn etwas gegen ihn vorliegt“, erklärt sein Beisteher. Ob Igor P. sich das nach seinen Erfahrungen mit der Bremer Justiz noch traut, vermochte Docke nicht zu sagen.
kat
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