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Vorfahrt für den Straßenbau

Der Verkehrsminister redet viel über die Förderung der Bahn, setzt im Haushalt aber andere Prioritäten. Langfristige Straßenbauprojekte legen die Verkehrspolitik auf Jahrzehnte fest  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Verkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) hat den Leuten in Bad Harzburg versprochen: Nächstes Jahr kommt die Umgehungsstraße. Die Pensionswirte des Kurorts sehen sich dauernd mit Beschwerden ihrer Gäste konfrontiert – seit dem Mauerfall wälzen sich Automassen durch den niedersächsischen Kurort im einstigen Zonenrandgebiet. 100.000 Mark hat Wissmann im Verkehrshaushalt 1997 für das knapp drei Kilometer lange Stück bis zur Landesgrenze nach Sachsen-Anhalt vorgesehen.

„Damit kommt man nicht weit“, konstatiert der Direktor des Straßenbauamts in Goslar, Dieter Ludewig. Schließlich soll das Gesamtprojekt mit mehreren Brücken und einem Autobahnanschluß über 53 Millionen Mark kosten. Dennoch sind die 100.000 Mark, wenn sie denn heute bei den Beratungen im Haushaltsausschuß des Bundestages abgesegnet werden, entscheidend: Sie geben den zuständigen Ämtern die Möglichkeit, langfristige Verträge mit Bauunternehmen zu schließen.

Durch solche Verpflichtungsermächtigungen bei Dutzenden von Fernstraßenprojekten ist der Bundesverkehrshaushalt auf mehrere Jahre hinaus festgelegt. „Herr Wissmann streunt 1997 gewissermaßen durch deutsche Auen, um mit Spatenstichen Duftmarken zu setzen, wo demnächst Beton auf Natur gegossen wird“, kommentiert Winfried Wolf, der im Bundestag die PDS vertritt. Insgesamt 8,119 Milliarden Mark hat Verkehrsminister Wissmann für Investitionen im Straßenbau im nächsten Jahr vorgesehen. Die langfristigen Verpflichtungen summieren sich mittlerweile auf über 28 Milliarden Mark.

„Besonders kraß ist das bei privat vorfinanzierten Projekten“, sagt die verkehrspolitische Sprecherin der Bündnisgrünen im Bundestag, Gila Altmann. Der Wesertunnel bei Esenham beispielsweise muß erst nach seiner Fertigstellung aus der Bundeskasse abgestottert werden: Jetzt legt die Bundesregierung fest, daß die SteuerzahlerInnen ab 2003 jährlich mit 70 Millionen Mark belastet werden – 15 Jahre lang. Und auch der Transrapid schlägt im nächsten Haushalt erst mit 75 Millionen zu Buche, soll aber insgesamt über 5,3 Milliarden kosten – offiziell. „Die Regierung will verhindern, daß ihre Nachfolger verkehrspolitisch umsteuern können“, so Altmann.

Verschiebung der Kosten in die Zukunft möchte Wissmann den von seinem Kabinettskollegen Theo Waigel erzwungenen Sparkurs ausgleichen. Formal hat der Verkehrsminister 1997 etwa 6 Milliarden Mark weniger zu verteilen als beim letzten Mal – das sind knapp 12 Prozent. Tatsächlich sieht es wegen der Finanzierung der Bahnregionalisierung durch Teile der Mineralölsteuer etwas weniger dramatisch aus. Aber auch wenn man diese Umbuchung herausrechnet, bleibt die Tatsache: Die Bundesregierung will beim Verkehrshaushalt 5,3 Prozent und damit überdurchschnittlich viel sparen.

Doch Wissmann kürzt nicht nach dem Rasenmäherprinzip. Für Grundstücke, auf denen demnächst Autos dahinbrausen sollen, hat er die Gelder sogar erhöht. Und auch die betriebliche Unterhaltung der Bundesstraßen soll weiterhin 1,5 Milliarden Mark kosten. Bei der Bahn hingegen sind für Investitionen nur noch 7,2 Milliarden Mark vorgesehen – eine halbe Milliarde weniger als vor Jahresfrist. Und 3 Milliarden davon sollen lediglich als Darlehen überwiesen werden. Dabei war in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes in den letzten Jahren immer von insgesamt 10 Milliarden Mark die Rede gewesen.

Grüne fordern Ausbau von Regionalstrecken

Doch selbst die jetzt vorgesehene Investitionssumme ist keineswegs gesichert. Denn der Wirtschaftsplan des sogenannten Bundeseisenbahnvermögens (BEV), das Schulden und Beamte der einstigen Behörde Bahn verwaltet, geht davon aus, daß im nächsten Jahr fast 3 Milliarden Mark durch den Verkauf von nichtbahnnotwendigen Grundstücken erzielt werden können. Doch die Immobilienpreise sind im Keller. Und Experten halten die Verkaufschancen vieler Liegenschaften für grundsätzlich schlecht. Für Einnahmenausfälle müßte zwar zunächst der Finanzminister geradestehen. Doch die Regierung hat bereits unmißverständlich klargemacht, daß sie ein Loch beim BEV durch Kürzungen bei Schienenprojekten stopfen will.

Gut möglich ist also, daß die Investitionen in Straßen- und Gleisbau im nächsten Jahr sogar noch weiter auseinanderlaufen, als schon jetzt absehbar ist. Sehr zupaß kommt Wissmann dabei, daß es bisher keinen Schienenausbauplan gibt, so wie er bei Bundesstraßen selbstverständlich ist. Verhandlungen zwischen Bahn und Verkehrsministerium laufen hinter verschlossenen Türen; selbst die Bundestagsabgeordneten, die den Milliardeninvestitionen zustimmen sollen, werden mit dem Hinweis auf die jetzt privatwirtschaftlich arbeitende Bahn abgespeist. SPD und Bündnisgrüne fordern die detaillierte Veröffentlichung der geplanten Streckenabschnitte.

Die Opposition hat letzte Woche ein ganzes Bündel von Änderungsanträgen zum Verkehrshaushalt vorgelegt, über die der Haushaltsausschuß heute befinden wird. Während die SPD zwar eine Aufstockung der Gelder für Schienen fordert, dafür aber nur geringe Einsparvorschläge an anderer Stelle macht, wollen die Bündnisgrünen für Straßenbau 2,9 Milliarden Mark weniger als Wissmann ausgeben. Dafür sollen dann 2,2 Milliarden vorwiegend für den Ausbau von Nah- und Regionalverkehrsstrecken investiert und 400 Millionen für Lärmschutz ausgegeben werden. Insgesamt behielte Waigel bei Umsetzung der bündnisgrünen Vorschläge sogar 615 Millionen Mark mehr in der Kasse, als wenn Wissmanns Pläne umgesetzt werden.

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