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Smaragdgrüner Dominostein

Ein neuer Wohn/Büro-Komplex macht Hoffnung auf die Genesung der City Süd  ■ Von Till Briegleb

Dieter Becken ist nicht gerade der böse Investor, wie man ihn sich vorstellt. Nett, galant, enthusiastisch für seine Projekte und den Leitsatz formulierend: „Ich muß nicht die große Kohle machen“, entspricht er nicht gerade dem Feindbild vom gewissenlosen Spekulaten, der Mieter terrorisiert, Altbauten abreißt und ohne Rücksicht auf städtische Belange nach Höchstausnutzungen giert.

Dieter Becken ist aber auch nicht der gute Samariter – dafür hat er sich das falsche Geschäft ausgesucht. Aber der Bauherr von drei aufsehenerregenden Projekten in der City Süd besitzt zwei Eigenschaften, die es ihm ermöglichen, globaler zu denken und zu handeln, als viele seiner Kollegen. Zum einen ist er selbst ausgebildeter Architekt („nur ein drittklassiger, deswegen bin ich auch lieber Investor geworden“) und hat davon den Ehrgeiz behalten, nur beste architektonische Qualität zu finanzieren. Und zum anderen hat er von den Leitsätzen moderner Stadtplanung aus seiner Warte die richtigen Schlüsse gezogen: „Ich weiß, daß ich Leerstände am besten dadurch vermeide, daß ich den Firmen ein attraktives, lebendiges Umfeld biete. Deswegen versuche ich mit meinen Projekten in der City Süd, die Durchmischung mit Arbeiten und Wohnen voranzutreiben. Das ist die einzige Chance auch für den Bürostandort City Süd.“

Sicherlich hat Dieter Becken den Vorteil, aus der katastrophalen Fehlentwicklung dieses quasi innerstädtischen Quartiers, wie sie die Stadt und die bisherigen Investoren verursacht haben, zu lernen. Ungastliches und zugiges Ambiente zwischen abweisenden Bürosolitären, fehlende Infrastruktur von Läden, Restaurants und anderem Kleingewerbe und eine völlige Menschenleere auf mehreren Hektar, die durch die Autokolonnen noch karikiert wird, verschrecken auch immer mehr Firmen. Zwanzig Prozent Leerstand in der City Süd zeigen, daß Menschen auch an ihrem Arbeitsplatz Ansprüche an die Außenwelt haben, und daß diese nicht dadurch befriedigt werden, daß man die Stadt in Wohn-, Freizeit- und Arbeitsgebiete zoniert. Nur die ausbalancierte Verzahnung dieser Sektoren beim Neubau von großen Quartieren garantiert attraktive Arbeitsplätze und vitale Viertel, die den Qualitäten der alten europäischen Stadt entsprechen.

Zwar ist es für eine Korrektur im Bereich der City Süd reichlich spät, aber nicht zu spät. Denn der Umschwung zur stärkeren Durchmischung erscheint angesichts der Büroflaute nicht mehr nur länger als der fromme Wunsch der Stadtplaner von Hamburg Mitte. Dort bemüht man sich seit geraumer Zeit mit einem Konzept der Wohninseln um eine städtebauliche Therapie. Bis zu 1000 Wohnungen hält der Stadtplaner Peter Illies für realistisch. Dazu muß der Leidensdruck der Grundbesitzer vor Ort wahrscheinlich nur noch unwesentlich größer werden, denn eine neue Konjunktur im Bürobau zeichnet sich insbesondere nach der letzten Flaute mit der Kehrwiederspitze nicht ab.

Allen voran hat Dieter Becken inzwischen kapiert, wo der Hammer hängt: Alltägliches Leben muß zurück in die Geisterstadt. Am Heidenkampsweg hat er es nach langen Verhandlungen mitermöglicht, daß neben dem wohl spektakulärsten Hamburger Neubauprojekt – einem zwölfstöckigen Doppel-X in einem Glaskasten von Bothe, Richter, Teherani (Baubeginn: April '97) – eine alte Fabrik erhalten bleibt, die zu Konditionen an dortige Künstler vermietet wird, die von beiden Seiten als „tragbar“ erklärt werden. Und mit seinem neuen Büro/Wohnkomplex Ecke Amsinckstraße/Nagelsweg ist er der erste, der stadtplanerische Einsichten auch in die Tat umgesetzt hat: Das sogenannte VTG-Gebäude, ein Doppelkomplex aus Büro- und Wohnhaus, ist architektonisch einer der schönsten Neubauten in ganz Hamburg und konzeptionell vielleicht der erste Dominostein für eine Kettenreaktion der Vernunft.

Das von den Berliner Architekten Hilde Leon und Konrad Wohlhage nach einem gewonnenen Wettbewerb umgesetzte Gebilde bietet zur Stadtautobahn Amsinckstraße hin eine geschlossene Stein-Glas-Fassade. Deren künstlerischer Rhythmus aus Fensterstreben und kunstvoll zugeschnittenem grünen Granit-Beton setzt trotz aller Zurückhaltung einen ganz unhanseatischen Akzent. Nachts wird ein akustisch gekoppelter Dimmer den Straßenlärm als Lichtspiel auf die Fassade werfen.

Zur Rückseite hat das Berliner Büro die Baukörper als tiefe Zacken in das Gelände getrieben. Hinter einem Steingitter aus demselben brasilianischen Granit-Beton wie dem der Forderfront schaffen feine Metallgeländer und Jalousien, große Glasfenster und rot leuchtende Holzverkleidungen ein stilvolles Ambiente ohne jeden Protz.

Ein einladender Garten mit Bäumen und spielerisch verteilten Hecken sowie langen Wasserstraßen mit künstlich bewegter Flüssigkeit, der in Kürze angelegt wird (Architekten: WES & Partner), trennt dann den Firmensitz der Öltransporteure VTG von dem Wohnhaus. Auch dieser Trakt besitzt wie das Hauptgebäude neben der spitz zulaufenden, das Chilehaus zitierenden Grundform, zwei individuelle Gesichter.

So zeigt sich das ganze Ensemble mit vier Schauseiten, wobei die Fassaden des Wohnblocks mit besonderer Raffinesse gestaltet sind. Die Wand zur Straßenseite hin besteht aus Glasbausteinen, die vor eine grünliche Dämmwolle gehängt sind, so daß die Farbgesamtkomposition erhalten bleibt, gleichzeitig das Licht aber sehr viel bunter mit der Oberfläche spielt. Zum Garten hin bildet die Summe der Wintergärten, die jede Wohnung besitzt, eine transparente Glasfront, die ihr Farbspiel durch die Nutzung der Mieter erhält. Für den optischen Rhythmus sorgen – zumindest im Sommer – die Fensterelemente, die wie das alte Hamburger Fenster (Zitat: Gängeviertel) nach außen geöffnet werden und damit eine zufällige Notation über die Fassade schreiben.

Die 77 Ein- und Zwei-Zimmer-Wohnungen – Becken weiß sehr wohl, daß die City Süd für Familien noch das falsche Pflaster ist – besitzen kompakte Grundrisse und können mit Hilfe von Schiebeelementen aus Buchenholz in ihrer Aufteilung verändert werden. Da es sich hier um geförderten Wohnungsbau handelt, können die schönen Domizile jedem zufallen, der sich darum bemüht. Auch der Fehler, Wohnungen im besonderen Ambiente nur in der teuren Individualisten-Klasse an den Markt zu bringen und damit ein entstehendes Gebiet sozial einseitig festzulegen, wird hier vermieden.

Da Beckens Doppelsmaragd also sowohl die Mieter, den Investor als auch den künstlerischen Geschmack befriedigt, kann man zum Wohle der östlichen Innenstadt nur hoffen, daß die kapitalistischen Tugenden Neid und Gier seine Kontrahenten in den Wettkampf um eine neu belebte City Süd treiben. Ein paar schändliche Neubauten drumherum dürften dafür gerne fallen.

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