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Detektiv sucht Friedenstaube

■ Die DDR-Kunst zwischen Plattenbauten beginnt zu bröckeln. Eine Marzahner Projektgruppe sucht die letzten Überreste des sozialistischen Realismus im Alltag

Die Farben sind längst verblaßt, der untere Teil ist weiß übertüncht. Viel ist nicht mehr zu sehen von dem großen Wandbild an der Marzahner Schule Cecilienstraße. Edmund Bechtle war lange nicht mehr hier. 1983 das letzte Mal, als er die Fassade der sozialistischen Plattenbauschule bunt bemalte. Das war damals, als der Ostberliner Magistrat das Neubaugebiet am Rande der Stadt aus dem Boden stampfen ließ und eine zentrale Konzeptionsgruppe dafür zu sorgen hatte, daß Kunst ins bezirkliche Wohnumfeld kam. Es hagelte Aufträge an Künstler wie den Maler Edmund Bechtle. Kunst in der „Platte“, das hieß: Riesige Wandbilder an Kinderkombinationen, Schulen und Turnhallen, Skulpturen auf öffentlichen Plätzen, Mosaikbilder an Kaufhallen, Apotheken und Kulturhäusern.

Edmund Bechtle ist zurückgekehrt an jenen Ort, dem er seinen Pinsel aufdrückte. Einen überdimensional großen, farbenprächtigen Torbogen hat er damals an die graue Schulfassade gemalt, „er sollte von weitem sichtbar sein, er sollte Werden und Vergehen symbolisieren“. Das ist lange her, und Bechtle sagt heute: „Ich bin erschüttert, wie das Bild jetzt aussieht.“ Eigentlich will er gar nicht mehr über sein Kunstwerk von Gestern reden, „es lohnt sich nicht“.

Denn die DDR-Kunst beginnt zu bröckeln. Auf dem Helene- Weigel-Platz, direkt vor dem Rathaus Marzahn, steht ein Brunnenensemble mit Bronzemenschen, hager und ausgemergelt, gar nicht dem sozialistischen Menschenbild entsprechend. Davor ein altes Motorrad, das an Nachkriegs- und nicht an Simson-Zeiten erinnert. Die Bronzemenschen sind beschmiert mit roter Farbe. Graffiti überdecken fast überall die sozialistische Kunst.

Edmund Bechtle, der Maler, ist zurückgekehrt. Als ABM-Kraft in den Bürgerverein Nord-Ost und als Leiter der Projektgruppe „Bestandsaufnahme der Kunst im öffentlichen Raum in Marzahn“. Das klingt umständlich und läßt sich doch ganz einfach erklären: „Wir wollen herausfinden, was es noch an Kunstobjekten im Bezirk gibt.“ Gut 300 Außenwandbilder, Skulpturen, Brunnen und künstlerisch gestaltete Spielanlagen sind es nach ersten Schätzungen. Sie aufzulisten, das ist das Anliegen des Projekts. Seit Anfang August sind fünf ABM-Kunstdetektive in Marzahn unterwegs, um die Friedenstauben („die waren fast auf jedem Bild“) oder das sozialistische Standard-Liebespaar („das sah immer gleich aus“) aufzuspüren. Eine mühselige Angelegenheit.

„Wir machen eigentlich die Arbeit des Bezirksamtes“, sagt Edmund Bechtle. In Zeiten leerer Kassen werde an der Kunst zuallererst gespart. In der DDR wurde Kunst verordnet, durch „Masseninitiativen“ wie den Wettbewerb „Goldene Hausnummer“, die die Bewohner zum Anlaß nahmen, Micky Mäuse und Dornröschenbilder an Wände zu zaubern oder durch gesetzliche Vorlagen wie „0,5 Prozent der Bausumme sind für Kunst auszugeben“. Heute dagegen sind künstlerische Ideen im öffentlichen Raum kaum noch gefragt. „Schauen Sie sich doch mal im Westen das Märkische Viertel oder die Gropiusstadt an, was ist denn da noch Kunst?“

Wenn in einem Jahr das Projekt ausläuft, soll dem Bezirksamt Marzahn eine Text-Bild-Dokumentationsmappe übergeben werden. Edmund Bechtle hofft, daß sich wenigstens dann jemand um die vergessenen Kunstobjekte kümmert. Jens Rübsam

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