: Soli-Szene gründet Netzwerk
■ Nord-Süd-Gruppen schließen sich zum "Entwicklungspolitischen Ratschlag" zusammen. Ziel ist, die "politische Interventionsfähigkeit" wiederherzustellen
Die Warnung war deutlich: „Ich hoffe, daß dies nicht eines jener klassischen Netzwerke wird, in der sich die Vielfalt der Kleinen verliert und die Großen zu Wortführern des Spagats über dem Nichts werden.“ Vor VertreterInnen Ost- und Westberliner entwicklungspolitischer Gruppen, die sich am Freitag abend im Haus der Kulturen der Welt zur Gründung eines Landesnetzwerks versammelt hatten, spielte FU-Professorin Ilse Schimpf-Herken auf den bundesweiten „Verband entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen“ (VENRO) an.
Dort hatte man sich von den mit Spenden in Millionenhöhe gesegneten kirchlichen Hilfswerken bis zu Kleingruppen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt. Resultat: Oft genug steigt VENRO mit Entwicklungsminister Spranger in ein Boot und protestiert mit ihm gegen Beschlüsse, die dieser im Bundeskabinett selbst mitträgt.
Diese Gefahr zumindest droht den 32 hauptstädtischen Gruppen nicht, die den „Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag“ (BER) aus der Taufe hoben. In Berlin fehlen die Partner dafür: Der Senat, der vor dem Mauerfall immer wieder Berlin als Drehscheibe von Nord und Süd, Ost und West postulierte, hat politisch- praktisch ohne Widerstand einen Kahlschlag der Berliner entwicklungspolitischen Szene hingenommen. Die offizielle deutsche Entwicklungspolitik mit ihrem Ministerium, dem BMZ, verbleibt in Bonn, bisher in Berlin ansässige Institutionen wie der „Deutsche Entwicklungsdienst“, die „Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung“ und das „Deutsche Institut für Entwicklungspolitik“ zogen an den Rhein. Darüber ist man im Roten Rathaus wahrscheinlich sogar insgeheim ganz froh: Immerhin wurden die drei Institutionen bisher mit etwa 8 Millionen Mark Regelförderung im Jahr bedacht, während sich die nichtstaatlichen Gruppen mit dem Zehntel zufrieden geben mußten.
Robert Große vom „Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika“, einer der Hauptinitiatoren des BER, befürchtet, daß die acht Millionen jetzt ersatzlos im Berliner Haushaltsloch verschwinden. Der BER verlangt deshalb einen „Umbau statt Abbau“ der Berliner Entwicklungspolitik und eine Stärkung der „einzigartigen Szene von fast zweihundert entwicklungspolitischen Gruppen und Institutionen“ mit diesem Geld.
Der Berliner BER bezieht sich ausdrücklich auf Traditionen der Solidaritätsbewegung, die nach der Wende 1989 oder etwa der sandinistischen Wahlniederlage in Nicaragua allerdings ziemlich auseinanderfiel. Robert Große zufolge geht es um „die Wiederherstellung der politischen Interventionsfähigkeit“ der Nord-Süd-Szene gegenüber der Landes- und Bundespolitik, wie sie einst etwa beim IWF- und Weltbank-Gipfel 1988 im Westteil oder über den Entwicklungspolitischen Runden Tisch ab 1990 in Ostberlin zum Tragen kam. Gleichzeitig will sich der BER auch Zeit für die Beantwortung der Frage nehmen, warum sich Ost und West nach dem November 1989 auch auf diesem Gebiet kaum näher kamen.
Mit Blickrichtung Westen forderte Schimpf-Herken, den „eigenen kolonialen Blick zu hinterfragen“, da im Osten die deutsche Vereinigung von vielen als kolonialer Prozeß erfahren wird. „Seit drei Entwicklungsdekaden rufen wir in den Wald hinein, um unser eigenes Echo zu hören: Entwicklung, Demokratie, Menschenrechte“, konstatierte sie selbstkritisch. Dabei haben große Teile der Ost-Szene gerade aus dem kirchlichen Raum auf eine eigenständige, staatskritische Tradition zu verweisen, die zum Teil lange vor dem November 1989 beginnt. Doch für ein Zusammengehen war erst ein Schock nötig. Der kam im Frühjahr, als die Landesentwicklungspolitik dem Rotstift von Senatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) ersatzlos zum Opfer fallen sollte. West- wie Ostberliner Gruppen stampften eine Pressure-Group aus dem Boden und kippten den Streichbeschluß. Die freigesetzte Energie sollte nicht verpuffen und nun im „Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag“ gebündelt werden.
Wenn auch fast alle bekannteren Gruppen aus beiden Teilen der Stadt dabei sind, fehlen gerade viele kleine Initiativen und völlig die Dritte-Welt-Läden, die etwa in Sachsen oder Thüringen eine wichtige Basis ähnlicher Netzwerke bilden. Aus dem Öko-Bereich kam die Kritik, die BER-Gründung sei eher ein Rückschritt, da so umwelt- von entwicklungspolitischen Themen getrennt würden. Der BER dazu: Man sehe sehr wohl die Berührungspunkte, auch etwa mit migrantenpolitischen Gruppen, wolle aber „der Beliebigkeit begegnen, daß irgendwie alles zusammengehört“.
Kontakt: INKOTA-Netzwerk, Georgenkirchstraße 70, 10249 Berlin, Telefon: 24063207. Thomas Ruttig
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