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Lebensrecht auf dem Prüfstand

In der Bundesärztekammer diskutieren Mediziner und Juristen über neue Richtlinien zur Sterbehilfe. Mit einer einheitlichen Position ist aber erst im nächsten Frühjahr zu rechnen  ■ Von Klaus-Peter Görlitzer

Das Papier ist lange angekündigt. Aber es läßt weiter auf sich warten. Neue „Richtlinien für die ärztliche Sterbebegleitung“ wird es in diesem Jahr jedenfalls nicht mehr geben. Ihre ursprünglich für Dezember geplante Verabschiedung durch den Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) ist auf März verschoben worden. Der Grund: Der mit den redaktionellen Änderungen beauftragte siebenköpfige BÄK-Ausschuß für medizinisch-juristische Grundsatzfragen soll sich bislang nicht auf einen Entwurf geeinigt haben.

Ausschuß tagt hinter verschlossenen Türen

Das Thema „Sterbehilfe“ betrifft zwar alle, doch die Diskussionen der sieben ausgewählten Experten (ausnahmslos sind es Männer) sind kaum noch nachvollziehbar. Denn der Ausschuß der Bundesärztekammer tagt stets hinter verschlossenen Türen. Welche Alternativen dort seit Februar auf dem Tisch gelegen haben, das wissen nur die Beteiligten. Mediziner und Rechtsgelehrte betonen oft genug, daß eine „informierte Einwilligung“ von Patienten und Patientinnen für jede Sterbehilfe unverzichtbar ist. Wenn es aber um die Einzelheiten geht, dann gelingt es ihnen, selbst in der technisch hochgerüsteten Informationsgesellschaft einfache Grenzen zu setzen. „Dann würden da ja nur Fensterreden gehalten werden“, rechtfertigt sich Jörg- Dietrich Hoppe, Vizepräsident der Bundesärztekammer, auf die Frage, warum der Sterbehilfe- Ausschuß nicht öffentlich tage.

Immerhin: Hoppe, der seit Jahren auf öffentlichen Veranstaltungen entschieden vor einer Ausweitung jeglicher Sterbehilfe warnt, kann in seiner Eigenschaft als stellvertretender Ausschußvorsitzender eine entscheidende Entwarnung vermelden: „Wir sind uns im Ausschuß jetzt schon klar darüber, daß wir niemanden, der sich nicht im Sterbeprozeß befindet, durch irgendeine Maßnahme zum Sterben bringen wollen, auch nicht durch Verhungernlassen.“

Was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, gilt im internationalen Bioethik-Diskurs längst nicht mehr als Konsens, und gerade deshalb hat das Zwischenergebnis Gewicht: Würde es in den künftigen BÄK-Richtlinien bekräftigt, bliebe eine Grenze bestehen, die andernorts schon überschritten wurde.

In der Schweiz ist das Tötungsverbot gelockert

Zum Beispiel in der Schweiz: Dort hat die Akademie der Medizinischen Wissenschaften 1995 eine Ethik-Richtlinie beschlossen, die das Lebensrecht von PatientInnen in Frage stellt, die in Folge eines Schlaganfalls, Tumors oder Unfalls ins Koma gefallen sind. Wem ÄrztInnen nach mehrmonatiger Beobachtung bescheinigen, seine Bewußtlosigkeit sei unwiderruflich, den dürfen richtlinientreue MedizinerInnen töten; durch Entzug der Zufuhr von Beatmung und Medikation, Verzicht auf Bluttransfusion und Dialyse.

Von den Schweizer Richtlinien werde sich die neue BÄK-Version inhaltlich und formal klar unterscheiden, stellt Hoppe in Aussicht. Dies gelte auch für die Antwort auf die im Ausschuß noch diskutierte Frage: „Wann beginnt jemand zu sterben?“

In der Alpenrepublik bestehen „Ausnahmen von der ärztlichen Verpflichtung zur Lebenserhaltung“, sofern eine Krankheit oder irreversible Schädigung „trotz Behandlung in absehbarer Zeit zum Tode führt“. Der unbestimmte Rechtsbegriff „absehbar“ eröffnet große Ermessensspielräume über Leben und Tod. Bei unheilbaren Krankheiten, etwa Aids oder bösartigen Tumoren, kann der Tod schon Jahre vorher „absehbar“ sein.

Der Todeswunsch soll mehr Gewicht bekommen

Prinzipiell einig ist sich der BÄK- Ausschuß nach Hoppes Darstellung darüber, daß sogenannte „Patientenverfügungen“ mehr Gewicht bekommen sollen. Damit können Menschen schriftlich festlegen, wie sie irgendwann in einer bestimmten Situation medizinisch versorgt werden wollen – oder ob der behandelnde Arzt eine Therapie abbrechen soll.

Bislang ist kein Arzt an solche Testamente gebunden, auch neue BÄK-Richtlinien könnten die Rechtslage nicht ändern; die Aufwertung ist gedacht als Zugeständnis an ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BHG).

1994 hatte der 1. Strafsenat des BGH im Fall einer komatösen und daher nicht entscheidungsfähigen Frau geschrieben, „frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen der Kranken“ seien eines unter mehreren Indizien, wenn es darum gehe, den mutmaßlichen Willen der Betroffenen zu ermitteln. Sei die Patientin mutmaßlich einverstanden, könne „ausnahmsweise ein zulässiges Sterbenlassen“ durch Abbruch ihrer Ernährung per Magensonde „nicht von vornherein ausgeschlossen“ werden.

Den BGH-Spruch werten viele InterpretInnen seitdem als Anspruchsgrundlage: Wer irgendwann verfügt, daß ihn Mediziner oder Pfleger später verhungern, verdursten oder ersticken lassen sollen, habe darauf ein Anrecht.

Ist der Arzt nur seinem Gewissen verpflichtet?

Das sehen andere radikal anders, zum Beispiel jene Arbeitsgruppe, die eine „ethische Stellungnahme“ für den Konvent der Krankenhausseelsorger der Evangelischen Kirche im Rheinland verfaßt hat. Im Text, an dem mehrere Pfarrer, ein Neurologe, eine Stationsschwester und ein Philosoph mitgewirkt haben, heißt es, „daß Verfügungen nicht verpflichtend sein können, die gegen wesentliche sittliche Überzeugungen (Gewissen) des anderen verstoßen“. Nahrungsentzug sei „aktive Tötung durch Unterlassen“, und die widerspreche „der allgemein geltenden sittlichen Verpflichtung aller Menschen, der Angehörigen und vor allem der Ärzte und Pflegekräfte, Leben zu schützen und zu pflegen“.

Im Konflikt mit dem Bundesgerichtshof

Mehr Eindruck als solche Positionen machen dem Ausschuß der Bundesärztekammer offenbar die Rechtsgelehrten. „Die Juristen“, berichtet Mediziner Hoppe, „sagen uns: Das BGH-Urteil ist Richterrecht und gilt damit. Wenn die Bundesärztekammer dahinter zurückgeht, verwirrt sie alle Leute.“ Trotzdem gehe manchem, so Hoppe, die BGH-Position zu weit, man müsse sich noch mal zusammensetzen, um aus dem Dilemma herauszukommen.

Möglichkeiten, auf neue Ideen zu kommen, um das Dilemma zu lösen, gäbe es freilich genug. Vielleicht ist der Kreis der Diskutierenden nur zu eng gefaßt worden. Es steht der Bundesärztekammer ja frei, die Diskussion über das Ob und Wie der Richtlinien öffentlich zu führen und erheblich zu verbreitern, zum Beispiel durch Beteiligung von PflegerInnen und Selbsthilfeverbänden.

Daß auch viele Ärzte und Ärztinnen bereit sind mitzudenken, haben über tausend von ihnen Ende Oktober dokumentiert. Die TeilnehmerInnen des Nürnberger Kongresses „Medizin und Gewissen“, veranstaltet von den Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), appellierten an die Bundesärztekammer, die bisherigen Richtlinien zur Sterbebegleitung beizubehalten.

Ein entscheidendes Wort mitreden könnten aber auch die Politiker und Politikerinnen, die bisher der schleichenden juristischen Aufweichung des Tötungsverbotes nur zugeschaut haben: Sie können per Gesetz klarstellen, daß Verhungern- und Verdurstenlassen von Menschen in jedem Fall und ohne Ausnahme strafbare Tötung ist.

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