: Ein unmoralisches Angebot
Hamburger Anwälte empört über neue „Flughafenregelung“: Sie sollen mit einem Notdienst helfen, Flüchtlinge schnell loszuwerden ■ Von Silke Mertins
Flucht ist nicht gleich Flucht. Wer über ein sogenanntes „sicheres Herkunftsland“ – zum Beispiel Polen – kommt oder keine gültigen Ausweispapiere bei sich hat, darf höchstens aus dem Flieger steigen. Einreisen jedoch nicht. „Flughafenregelung“ heißt das Schnellverfahren auf exterritorialem Gebiet, das auch für Hamburg gilt.
Weil das Bundesverfassungsgericht im Mai 1996 entschieden hat, daß auch den „Flughafen-Flüchtlingen“ Zugang zu Rechtsanwälten gewährt werden muß, bemüht man sich derzeit um einen anwaltlichen 24-Stunden-Notdienst. Auf Initiative des Bundesinnenministeriums trat die Hamburger Anwaltskammer am 12. Dezember 1996 an Rechtsanwälte aus dem Asyl- und Ausländerbereich heran. Das An-sinnen: Sie sollen sich an dem Notdienst beteiligen. Jedoch erst, wenn der Asylantrag bereits als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt wurde. Dann sollen sie prüfen, ob Rechtsmittel eingelegt werden können. Für diese Beratung erhalten die Anwälte 150 Mark. Für weitere Kosten muß der Flüchtling aufkommen.
Gegen diesen „zum Teil standeswidrigen“ Vorschlag, der die „menschenrechtsverachtende Intention der bundesdeutschen Gesetzesänderungen“ unterstütze, laufen betroffene AnwältInnen nun Sturm. In einer „Erklärung Hamburger Anwältinnen und Anwälte“ rufen Sigrid Töpfer und Marion Pein zum Boykott des Angebots auf.
„Sämtliche Kolleginnen und Kollegen“, die bei dem Treffen anwesend waren, stünden der Anfrage „negativ gegenüber“. Einige Anwälte wie der GALier Mahmut Erdem würden allerdings unter anderen Bedingungen mitmachen: geeignete Räume, Dolmetscher, Übernahme der Anwaltskosten für die Rechtsmittelverfahren usw. „Besser wir als solche, die keine Ahnung haben“, so Erdem.
Andere hingegen lehnen die Regelung in Bausch und Bogen ab und wollen sich im Rahmem dieser „rassistischen Rechtsverkürzung“ nicht instrumentalisieren lassen. Die Beteiligung am Flughafenverfahren „empfinden wir als Erfüllung einer Feigenblattfunktion“. Unterschriften weiterer AnwältInnen sollen die Boykott-Erklärung unterstützten.
Frühreif und voreilig findet der Chef der Hamburger Anwaltskammer, Hartmuth Scharmer, die Reaktion auf das Treffen. „Es gibt noch kein Ergebnis“, der Ausgang der Verhandlungen sei „völlig offen“.
Anders als in Frankfurt kommen in Hamburg nur sehr wenige Flüchtlinge an, die von der Flughafenregelung betroffen sind. Sie werden vom Bundesgrenzschutz in Wohn-Containern im Frachtbereich des Flughafens untergebracht. Doch die Zahl steigt möglicherweise, fürchtet Anwalt Erdem. Mit der Einrichtung eines Notdienstes könnte auch ein Ausbau der Flughafenregelung auf Hamburg zukommen. Vermehren ließe sich die Zahl der „Flughafen-Flüchtlinge“ etwa dadurch, daß man plötzlich erheblich öfter Anlaß zu dem Verdacht hat, die Ausweispapiere seien gefälscht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen