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Belgrader trotzen Polizeiknüppeln

■ Am Tag nach dem bisher härtesten Polizeieinsatz demonstrierten erneut Zehntausende gegen die serbische Regierung. In der Nacht zu Montag wurden mindestens 80 Personen verletzt, darunter Oppositionsführerin Pešić

Belgrad (AFP/dpa/taz) – Ungeachtet des brutalen Polizeieinsatzes in der Nacht auf Montag haben die Studenten gestern ihre Proteste in der serbischen Hauptstadt Belgrad fortgesetzt. Zunächst zogen bis zu 30.000 Studenten in Sternmärschen durch die Innenstadt und legten den Verkehr zeitweise lahm. Ihnen schlossen sich mehr als tausend streikende Anwälte an. Die Polizei griff nicht ein. Für den Nachmittag rief das Oppositionsbündnis Zajedno zum 76. Tag der Demonstrationen auf. Dem folgten nach Agenturangaben rund 80.000 Belgrader. Die drei Oppositionsführer Vuk Drašković, Zoran Djindjić und Vesna Pešić riefen zur Gewaltlosigkeit auf, um neue Polizeiübergriffe zu verhindern. Tausende schwerbewaffnete Bereitschaftspolizisten blockierten den zentralen Terazije-Platz.

In der Nacht auf Montag hatte die serbische Führung die Demonstranten in Belgrad mit bisher nicht gekannter Brutalität niederknüppeln lassen. Bei dem härtesten Polizeieinsatz seit Beginn der Proteste wurden nach Angaben von Ärzten mindestens 80 Menschen verletzt, darunter auch die Oppositionsführerin Vesna Pešić. Eigentlich war statt des Prügeleinsatzes ein Vorschlag von Serbiens Präsident Slobodan Milošević zur Lösung der Krise erwartet worden war.

Mehrere tausend Polizisten gingen mit Schlagstöcken, Tränengas und Wasserwerfern gegen Demonstranten vor, die über eine Brücke ins Stadtzentrum gelangen wollten. Nach Auflösung der Kundgebung verfolgten sie die fliehenden Menschen bis in die Innenstadt und griffen auch unbeteiligte Passanten an. Der unabhängige Sender B-92 berichtete, viele Verletzte hätten Knochenbrüche erlitten, darunter auch eine 64jährige Frau. Nach Angaben einer Privatklinik ließen sich auch knapp ein Dutzend Polizisten behandeln. Unter den Verletzten waren laut B-92 mindestens sieben Journalisten. Eine unbekannte Anzahl von Demonstranten wurde festgenommen.

Gestern lief in Belgrad der Zeitpunkt ab, zu dem laut Gesetz das neue Stadtparlament hätte konstitutiert werden sollen. Beobachter sind sich einig, daß Milošević auf keinen Fall die Verwaltung der Hauptstadt in die Hände von Zajedno legen will. Bei Ausrufung des Ausnahmezustands würde der alte Stadtrat weiter amtieren.

Oppositionsführer Zoran Djindjić sagte dem Sender B-92, Milošević habe die „Nerven verloren“. Das harte Vorgehen der Polizei sei „gänzlich ungerechtfertigt“. Die staatliche Nachrichtenagentur Tanjug rechtfertigte den Polizeieinsatz damit, daß die Demonstranten den Verkehr behindert hätten. Drašković forderte die Armee zum Eingreifen auf seiten der Demonstranten auf. Er nahm aber seine Aufforderung zurück, daß die Demonstranten sich bewaffnen sollten. Er habe eine emotionale Erklärung abgegeben. Auf ihn sei in der Nacht ein Attentat verübt worden. Sein Auto sei beschossen worden. Hinter dem Attentat stehe die Präsidentengattin Mira Marković.

Außenminister Klaus Kinkel verurteilte den Polizeieinsatz als „schweren Schlag gegen Demokratie und Gewaltlosigkeit“. Bonn bleibe bei seinen Forderungen nach sofortiger Anerkennung der Kommunalwahlergebnisse.

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