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Das sind sie - ungeschminkt!

■ Der Absturz ins Gangster- und Rotlichtmilieu von Migranten in Deutschland fand erst bei der zweiten und vor allem der dritten Generation statt. Ein Gespräch mit Feridun Zaimoglu

taz: Du dokumentierst in deinem Buch das Leben eines türkischen Dealers, Brutalos und Machos. Nennst ihn Kanaken. Fühlst du dich als Rächer der stummen, entrechteten Ausländer?

Feridun Zaimoglu: Man verfährt mit den Kanaken ja so wie in der Kaffeewerbung: Nur die reine Bohne wird geröstet, die Reizstoffe werden ausgefiltert. Man teilt den Kanaken ein: Entweder ist er der Schmusewolle-Orientale mit dem Ethnocharme, oder er ist eben der Omabeklauer oder der Messerstecher, der Reservatskümmel. Bei allen Stereotypen handelt es sich aber um Menschen.

Was ist für dich das Besondere an der Puffgeschichte mit der türkischen Nutte? Ist es nicht das übliche Puffgehabe?

Ertan Ongun und die türkische Nutte sind beide des Türkischen mächtig. Sie kennen beide aus ihrem türkischen Elternhaus diese komischen Schamgefühle, traditionellen Werte. Beide verstoßen dagegen und sind sich ihres Verstoßes bewußt. So kommt es zu einer ganz eigenartigen Begegnung der dritten Generation. Was mir an dieser Geschichte gefällt, ist, daß diese ganzen Vorstellungen moralischer, politischer oder kultureller Natur Lügen gestraft werden. Die tatsächlichen Lebensverhältnisse von Kanaken sind häufig so. Es gibt Tausende von türkischen Prostituierten. Es gibt Tausende von Kanakengangstern in deutschen Städten. Da ist endlich die dritte Generation, von denen alle Welt spricht. So spielt sich für viele das Leben ab. Das sind sie endlich ungeschminkt. In „Abschaum“ geht es mir darum, die Geschichte eines Kümmels darzustellen, der als Bodensatz in der sozialen Hierarchie funktioniert. Er ist Abschaum. Ein einziger fetter Mißton. Ich bin sein Chronist.

Wie findest du das prahlerische Sexualgebaren eines Ertan Ongun?

Ertan ist eingebunden in Verhältnisse, in denen er sich auch stereotyp verhält. Wir haben die Begegnung Bulle/Gangster, die funktioniert genauso nach einem bestimmten Muster wie die Begegnung Ertan Ongun mit Frauen. Wenn er vor dem Samenkoller steht, geht er zu einer Nutte oder sucht irgendwo die schnelle Befriedigung. Es geht um das Geschäft, das abgewickelt wird. Genauso wie der Deal funktioniert auch die Sexualität. Ertan erzählt in diesem Roman eigentlich nur, daß es in diesem Milieu nur darum geht, diese Deals über die Bühne zu bringen.

Ist diese Art Sexualität typisch für den Türkenmann?

Diese Kritik habe ich geahnt. Die Einteilung von Kulturen und Lebensweisen entsprechend ihrer angeblichen Frauenfeindlichkeit ist im Grunde genommen zu einer Standardstrategie westlicher Dominanz geworden. Wie Kebab zur türkischen Kultur gehört, wird der Türkenmann als das Tier, der taffe Reservatskümmel denunziert.

Mit der Geschichte des Besuchs bei der türkischen Nutte und anderen Stories in deinem Buch unterstreichst du doch selbst diesen Aspekt vom Tier im Mann.

Ertan Ongun gehört zu dem Drittel, daß aus der Zweidrittelgesellschaft herausfällt. Ich stelle ungeschminkt eine ganz bestimmte Krankheit vor. Diese Krankheit liegt in den Verhältnissen, in denen Ertan Ongun lebt. Und auch ein Ertan ist krank, er ist nicht nur ein Gangster, nicht nur ein Junkie, sondern ein Mann, für den es nur Schlampen oder Nutten gibt. Er sieht selbst, daß er wie ein verklumpter Adrenalinhaufen durch die Gegend huscht. Er sieht nur Geschäfte. Er sieht links und rechts seine Freunde sterben. Er ist zu keinem Gefühl fähig, ob Mann, ob Frau.

Aber es gibt doch Unterschiede im Geschlechterverhältnis von Deutschen und Türken...

Es ist ein anderes Verhältnis in der Beziehung der Geschlechter, sicher auch patriarchalischer, aber man darf nicht alles in einen Pott schmeißen. Also man begegnet zum Beispiel den Türken- oder Kümmelrudeln da draußen. Man sieht die Goldkettchen-Turkos, und die haben ein breitbeiniges Auftreten. Da gleich zu sagen, sie tragen mehr oder minder ihren Sack zur Schau, ist dann falsch, grob verallgemeinernd. Da wird dann sehr schnell von diesem Goldkettchen-Gebaren auf eine aggressive Anmache geschlossen. Da wird der muslimische Mann zitiert, der jede Blondine vernascht, wegschmeißt und schließlich bei seiner türkischen Jungfrau landet. Es gibt diese Frauenfeindlichkeit bei Türken augenfälliger. Auch MigrantInnen benennen und bekämpfen diesen Türkenmachismo.

Was willst du mit deinem Buch erreichen?

Seit 35 Jahren gibt es hier Emigrantenliteratur, die Ergüsse von Feldforschern, die schnell mal ins Ghetto rübermachen. Oder es gibt diese Multikulti-Industrievertreter. All diese verschiedenen Posten des Türken-Erkennungsdienstes haben eins gemeinsam, nämlich die Verhältnisse von Kanaken zu entstellen. Es ist eigentlich eine Art Öffentlichkeitsarbeit, die ich mache.

Verschreckst du nicht viele Leute, besonders Türken, mit deiner Art der Öffentlichkeitsarbeit?

Von deutscher Seite wird mir der Großstadt-Levanthiner vorgeworfen. Von türkischer Seite bin ich der alte Nestbeschmutzer. Es gibt von seiten der Klassik-Turkos Leute, die einem mitgebrachten Moralkodex verhaftet sind, die sind natürlich blind gegenüber bestimmten sozialen Verhältnissen. Von dieser Seite ernte ich Kritik: „Diese Türken sind nicht wir“, ich sei schamlos, ich würde Häßlichkeiten zur Sprache bringen, und ich würde den Fremdenhassern in die Hände spielen. Sie verstehen nicht, wie ich Zuhälter und Stricher zu Wort kommen lassen kann. Es kommen da ja keine gutgescheitelten Türkenjungs zu Wort, die dann sagen, daß sie stolz sind, Türken zu sein, und daß sie ihre Eltern lieben. Ich will diese Friedhofsruhe nicht, ich will all diese Mythen zerschmettern.

Welche Mythen?

Den Mythos von: zwei Kulturen ach ruhn in meiner Brust, oder die Frage, ist der Türke von Natur aus ein zum Rechtsbruch bestimmtes Subjekt. Wenn es tatsächlich so wäre, dann wäre die erste Generation ja voll kriminell hier tätig gewesen. Nein. Die sogenannte Ausländerkriminalität setzte ja in der zweiten beziehungsweise in der dritten Generation ein. Oder nimm die heulige Kopftuch-Aische, der man sagt, legst du bitte mal das Kopftuch ab. Die Multikulti-Gesellschaft ist ein großer Mythos, wo doch jeder weiß, daß die Kulturen nur innerhalb der sozialen Hierarchie dieser Gesellschaftsordnung funktionieren.

Was heißt das?

Beispielsweise: Ein Kanake, der von einem Kommunefurzer, einem Altachtundsechziger in die Sonderschule geschickt wird, weil er nichts sagt. Sein Leben ist ruiniert, er wird nicht einmal den Hauptschulabschluß haben. So einer kriegt keinen Job. Die Arbeitslosenrate bei ausländischen Jugendlichen ist doppelt oder dreifach so hoch wie bei deutschen.

Also doch Rächer der entrechteten Ausländer...

Man soll endlich die soziale Wirklichkeit sehen und nicht mit folkloristisch antiquierten Verhältnissen daherkommen. Das Soziale wird ethnisiert. Die Lebensgeschichte eines Ertan Ongun ist kein ethnisches Problem. Man muß immer die soziale Klammer sehen und nicht soziale Verhältnisse mit dem Begriff Kultur überdecken. Interview: Edith Kresta

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