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Fahndungsplakat in Wohnung

■ Prozeß gegen Schotten wegen Mordversuch an Polizistin: Die Staatsanwaltschaft hält Identität eines V-Mannes geheim, der den Angeklagten jahrelang beschattete

Vor Jahren hatte er dem Täter sekundenlang ins unvermummte Gesicht gesehen, aber trotzdem gab sich der 33jährige Polizeibeamte Christian S. gestern als Zeuge sicher: „Ich würde sagen, er ist es“, identifizierte er den Angeklagten. „Der Täter hatte diesen stechenden Blick.“

Vor Gericht steht der 31jährige Schotte Alan C. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Mord an einer Polizistin vor. Bei den Krawallen nach der Anti-Einheitsdemo am 3. Oktober 1990 wurde Manuela T. von einem 20 bis 30 Jahre alten Mann mit einer langen Stange niedergeschlagen. Fünf Jahre später, im Januar 1996, wird Alan C. in Amsterdam festgenommen und ein halbes Jahr später an die deutschen Behörden ausgeliefert. Zu den Vorwürfen machte der Angeklagte keine Aussage.

Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Anklage auf einen Videofilm, der von einer Stasi-Kamera über dem Alex aufgenommen worden ist, auf dem der Vorfall allerdings nur winzigklein zu beobachten ist, sowie auf das Foto eines Pressefotografen vom angeblichen Täter kurz nach dem Schlag. Das stark vergrößerte und daher sehr unscharfe Bild diente später auch als Vorlage für das Fahndungsfoto. Weitere Verdachtsmomente sind die Aussagen mehrerer Polizeizeugen sowie eines V-Mannes aus Holland, dessen Identität die Staatsanwaltschaft nach Rücksprache mit den niederländischen Kollegen strikt geheimhält.

Zu dieser Quelle wurde gestern ein ermittelnder Kripobeamter befragt. Er berichtete, daß er den V-Mann nach einem Hinweis des BKA im Sommer 1995 getroffen und ihn als „sehr glaubwürdig“ empfunden habe. Der Informant sei sich absolut sicher gewesen, daß der in Amsterdam lebende Alan C. der Gesuchte auf dem Fahndungsplakat sei. Der V-Mann habe den Schotten über drei Jahre lang fast täglich gesehen und ihn als „aggressiven, reiselustigen“ Demonstrationsteilnehmer geschildert. Angeblich soll er das Fahndungsplakat in seiner Wohnung an der Wand hängen gehabt haben.

Die 29jährige Polizeibeamtin berichtete gestern als Zeugin, daß bei den Krawallen ein großes Chaos geherrscht habe. Schaulustige hätten den Rückzug blockiert, die Beamten geschubst und ihnen Beine gestellt. Als sie ihren Wagen verschlossen vorgefunden habe, habe sie sich umgedreht, „da stand er vor mir, holte aus und schlug zu“. Ihr Hausarzt diagnostizierte am nächsten Tag eine schwere Gehirnerschütterung. Auf die Frage des Richters, warum sie erst seit anderthalb Jahren in psychologischer Behandlung sei, sagte sie, daß sie den Vorfall zunächst verdrängt habe, um ihre Verbeamtung nicht zu gefährden. Vor Gericht behauptete sie, den Angeklagten zweifelsfrei als Täter wiederzuerkennen. Bei ihren früheren Aussagen hatte sie zunächst keine Beschreibung abgeben können und später bei der Vorlage von Lichtbildern nur eine Ähnlichkeit festgestellt. Plutonia Plarre

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