: Frieden und Frühling in Bosnien?
Am nächsten Sonnabend beginnt die „Rückführung“ von 2600 Bürgerkriegsflüchtlingen aus Hamburg. Morgen Demonstration gegen die Massenabschiebung ■ Von Elke Spanner
Noch regnet es unaufhörlich, und es ist kalt. Doch für Hamburgs Innensenator Hartmuth Wrocklage steht das Frühjahr vor der Tür: Ab 1. März ist die „Winterpause“ für BosnierInnen beendet. Rund 2600 der in Hamburg lebenden 12.000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien sind zur Ausreise bis zum Sommer angehalten – und mit der Abschiebung bedroht, sollten sie nicht „freiwillig“ in ihre zerstörte Heimat zurückkehren.
Seit die deutschen Innenminister auf ihrer Konferenz am 19. September 1996 beschlossen haben, daß in Bosnien nun Frieden herrsche, steht die Rückkehr den Bürgerkriegsflüchtlingen täglich vor Augen. Wenn auch die Koffer erst jetzt gepackt werden müssen, wirft die drohende „Rückführung“, wie es juristisch verharmlosend heißt, seit fünf Monaten ihre Schatten voraus.
Daß die „Gastfreundschaft“ verbraucht und bosnische Flüchtlinge längst von Kriegsleidenden zur Belastung der öffentlichen Kassen mutiert sind, bekam das Ehepaar Mustafa und Jasminka Rizvanovic deutlich zu spüren. Er lebt in Gütersloh, sie in Hamburg. Noch, dachten sie und beantragten, gemeinsam an der Elbe wohnen zu dürfen. Die Innenbehörde lehnte ab, obwohl Jasminka Rizvanovic schwanger ist. Ihr Mann zog erfolglos vor Gericht. Die Begründung: Die Duldung von Jasminka laufe ohnehin im Mai aus. Warum dann noch zusammenziehen?
Den Rückweg nach Bosnien, so empfiehlt es das Verwaltungsgericht, könne das Ehepaar ja gemeinsam antreten. Die bis dahin andauernde Trennung sei eine bloße Unbequemlichkeit. Schließlich, so der zynische Schlußsatz der Entscheidung, sei die Schwangere nicht auf die Unterstützung ihres Mannes in Hamburg angewiesen.
Nur ein Teil der BosnierInnen will zurück, nur ein Teil will das schon jetzt. Unter den anderen macht sich Panik breit. Niemand weiß genau: Wer ist dran, und wann? „Die Lebensplanung der BosnierInnen wird unmöglich gemacht, indem man sie nicht darüber aufklärt, was sie erwartet“, hat Rechtsanwalt Hartmut Jacobi beobachtet. Unsicherheit präge derzeit das Lebensgefühl.
Nach dem Beschluß der Innenminister haben zunächst alleinstehende Erwachsene und Ehepaare ohne minderjährige Kinder ihre Koffer zu packen. Ausgenommen sind nur sogenannte „traumatisierte“ Personen und Menschen über 65 Jahre. Die allerdings nur, wenn sie hier keine Sozialhilfe beziehen. Hier lebende Angehörige müssen sich verpflichten, für ihren Unterhalt aufzukommen. Gibt es solch wohlhabende Angehörige nicht: Zurück nach Bosnien.
Die „Winterpause“ hat die Ausländerbehörde eifrig genutzt, um „Rückführungen“ und Abschiebungen vorzubereiten. Wer in dieser Zeit die Ausländerbehörde betrat, verließ sie in der Regel ohne Paß. Der wird bei den meisten BosnierInnen einbehalten und erst bei der Ausreise an der Grenze wieder ausgehändigt. Nur wer glaubhaft machen kann, freiwillig ausreisen zu wollen, behält das Papier.
Auch der Aufenthaltsstatus wurde in den vergangenen Wochen ausgetauscht. Nunmehr sind BosnierInnen bloß noch geduldet. Doch wer nur geduldet ist, hat es schwer, eine Arbeit zu finden oder zu behalten. Denn das Arbeitsamt stellt eine Arbeitserlaubnis in der Regel nur für nicht versicherungspflichtige Jobs aus. Nicht einmal diese darf annehmen, wer nur eine sogenannte „Duldung zur Vorbereitung der Abschiebung“ hat. Das werden von Tag zu Tag mehr BosnierInnen. Alle aus der „ersten Rückführungsstufe“, die zur Zeit ihre Duldungen verlängern lassen müssen, bekommen dieses Papier.
Was sie im Herkunftsland erwartet, wissen viele BosnierInnen nicht. Rund 800 sind seit September bereits „freiwillig“ ausgereist. Die ersten sind bereits nach Hamburg zurückgekommen, weiß Rechtsanwalt Jacobi. Selbst deutsche Gerichte halten eine Rückkehr für gewagt: So entschied das Verwaltungsgericht Freiburg im Dezember, daß einem Bosnier „infolge der dortigen völligen Unterversorgung mit Nahrungs- und Heizmitteln mit erheblicher Wahrscheinlichkeit eine Gefahr für Leib oder Leben“ drohe.
Demo gegen „die größte Abschiebeaktion in der Geschichte der BRD“: Heute ab 12 Uhr, Gänsemarkt.
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