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Im Vollsuff „Polen aufmischen“

Überfall auf Kulturzentrum in Langenhorn, in dem auch polnische Arbeiter leben. Staatsschutz: „Keine rechtsradikalen Motive“  ■ Von Heike Haarhoff

Mit rassistischem Gegröle („Wir wollen die Polen aufmischen“) und anderen ausländerfeindlichen Parolen hat eine Gruppe junger Männer am frühen Sonntag morgen das Kulturzentrum in der Essener Straße in Langenhorn überfallen. Teile der ehemaligen Rüstungsfabrik, in der zwei Künstler sowie 38 polnische Bauarbeiter leben, wurden verwüstet, Poster und Gemälde von den Wänden im zweiten Stock gerissen. Verletzt wurde niemand. Die Polizei nahm drei der insgesamt vermutlich sieben Randalierer zwischen 20 und 26 Jahren vorübergehend fest. Einen „Bezug zur rechtsradikalen Szene“ schließt sie aus.

„Um kurz vor fünf“ Uhr morgens sei er von rassistischem Männergebrüll geweckt worden, berichtet Künstler Udo Herzog. „Die standen direkt vor meinem Zimmer und waren total besoffen. Der eine kotzte direkt in den Flur rein. Die anderen riefen immer wieder, daß sie die Polen aufmischen wollen, und daß die ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen.“ Udo Herzog ging in den Gang, schrie die Bande an, „sie sollten ihre Schnauze halten“. Im Treppenhaus sowie in mehreren Zimmern sprühten die Randalierer mit Feuerlöschern einen klebrig-grauen Schaumfilm auf Boden und Mobiliar.

Mit Hilfe seines Hundes gelang es Udo Herzog schließlich, die Besoffenen zu vertreiben, bevor sie den Gebäudetrakt erreichten, in dem die polnischen Arbeiter leben. Einige von ihnen sagten gestern, durch den Lärm und das Rütteln an den Türen geweckt worden zu sein. Anschließend rief Herzog die Polizei.

Die nahm drei der Täter noch auf dem Fabrik-Gelände fest, um sie wenige Stunden später wieder auf freien Fuß zu setzen: Ein „Bezug zur rechtsradikalen Szene“, hieß es zur Begründung, habe sich nach Überprüfung durch den Staatsschutz nicht feststellen lassen. Ermittelt werde jetzt wegen Sachbeschädigung.

Was die Polizei als „Übermutreaktion in Folge Trunkenheit“ und „verbale Kraftmeierei“ (Polizeisprecher Herbst) abtut, stellt für die Bewohner eine existentielle Bedrohung dar: „Seit die Gebäudeeigentümerin, die Firma IVG Immobilien GmbH, die Türen und Schlösser aus Gründen des Brandschutzes vor ein paar Wochen austauschen ließ, haben wir nur noch zwei Schlüssel für alle“, sagt Jörg Stange von der „Gesellschaft für operative Kunst“. Daher müsse die Haustür auch nachts notgedrungen geöffnet bleiben. Die IVG war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Unklar ist auch die künftige Nutzung des Gebäudes: Künstler und IVG führen einen Rechtsstreit darüber, ob und zu welchen Konditionen sie weiterhin in der seit Jahren leerstehenden und vor sich hinrottenden Ex-Fabrik leben dürfen. Der IVG schwebt dagegen eine „Entkernung“ und Gewerbeansiedlung des denkmalgeschützten Baus vor (taz berichtete). Seit Mitte Januar hat sie einige der schäbigen Zimmer an eine Baufirma vermietet, die dort polnische Bauarbeiter mit befristeter Arbeitserlaubnis in dürftigsten Verhältnissen hausen läßt.

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