Lieblingssport: Preisboxen

taz-Serie: Sportstadt Berlin. Der Breitensport muß ordentlich Federn lassen. Turnhallen werden nicht mehr saniert, Großprojekte wie die Radsporthalle dagegen verschlingen Millionen  ■ Von Christine Berger

Wenn Turnen auf dem Stundenplan steht, überkommt den kleinen Mark das Grausen. Die Sporthalle der Schöneberger Uckermark-Grundschule findet er eigentlich gar nicht so schlecht, nur die Umkleideräume machen ihm Angst. Dunkel im Souterrain gelegen, haben die Wände seit zwanzig Jahren außer Graffiti keine frische Farbe gesehen. Im Waschraum riecht es gammlig, Duschen gibt es auch keine. Nicht nur für Kinder ist die Atmosphäre zum Fürchten. Auch die Mitglieder der Vereine, die abends hier trainieren müssen, haben sich schon öfter beim Bezirksamt beschwert. Verändert hat sich dadurch nichts. „Auf die Grundrenovierung warten wir seit 20 Jahren“, sagt Schulleiter Rolf Schuppe resigniert. Er ist schon froh, daß er vor zwei Jahren das Geld für eine neue Bodenversiegelung lockermachen konnte, „die Schüler haben sich immer mit Holsplittern verletzt“. Nun hat er gehört, daß das Geld für die Renovierung der Turnhalle im Jahre 2010 fließen soll. Ob die Halle bis dahin noch durchhält, bleibt zumindest auf den ersten Blick fraglich.

Sauer ist Schuppe darüber, daß er seit diesem Jahr auch die Reparaturen für die Sportgeräte aus dem Zuwendungstopf für die Schule zahlen muß. „Wenn Vereine was kaputtmachen, müssen wir zahlen.“ Da bei den 15.000 Mark, die jährlich für die vierhundert Schüler der Grundschule zu Verfügung stehen, auch so nichts übrigbleibt, haben Schulleiter Schuppe und seine Kollegen Beschwerde beim Bezirksamt eingelegt. Aber die Aussichten auf Erfolg sind gering. „Der Staat hat den Auftrag, den Vereinen die Infrastruktur zur Verfügung zu stellen.“ Und dazu gehören auch die Sportgeräte.

Schuppe findet die Regelung ungerecht, denn schließlich leidet der Sport an seiner Schule unter den hiesigen Verhältnissen schon genug. Nicht nur, daß die Halle alt und muffig ist, sie ist für die Schüler auch zu klein. „Wir machen schon Gymnastik in der Aula“, so Schuppe. Anfragen bei benachbarten Schulen erzeugten nur müdes Abwinken.

Daran wird sich auch so schnell nichts ändern, hat doch der Senat das Neubauprogramm für Turnhallen auf Null heruntergefahren. Für die Sanierung bstehender Bauten ist ebenfalls kein Geld mehr da, und selbst im Ostteil, wo in den letzten Jahren noch jährlich 15 Millionen Mark in die Modernisierung der Sportstätten flossen, ist der Geldhahn seit diesem Jahr gänzlich zugedreht.

Doch nicht nur die Turnhallen sind vom Sparkurs betroffen. Sämtliche Bereiche vom Spitzen- bis zum Breitensport haben in den letzten Jahren kräftig abspecken müssen. Gab es 1994 noch 48,4 Millionen Mark für den Sport in der Stadt, sind jetzt gerade noch rund 34 Millionen übrig. Die Ausgaben für die Kernsportförderung, die die Unterstützung der Vereine beinhaltet, sank in den letzten Jahren jeweils um eine Million Mark und liegt derzeit bei 22 Millionen Mark.

In vielen Bereichen haben sich die Subventionen halbiert. So müssen die Organisatoren für die Endausscheidungen des bundesweiten Wettbewerbs „Jugend trainiert für Olympia“ in diesem Jahr mit der Hälfte des Geldes auskommen. Die andere Hälfte in Höhe von 1,5 Millionen investieren jetzt Sponsoren. Firmen wie Nike und Kellogg's übernehmen damit in der Stadt einen immer sichtbareren Einfluß auf den Sport. Das gilt auch für den Leistungssport, dessen finanzielle Unterstützung ebenfalls zurückgefahren wurde. Fraglich ist, ob die derzeit 80 Landestrainer weiter finanzierbar bleiben.

Von den Plänen, auch im Westteil der Stadt eine sportbetonte Oberschule mit Internat einzurichten, ist längst keine Rede mehr. Die Kosten für Trainer, Lehrer und Anlagen sind nach Ansicht des Sportsenats zu hoch. Unterdessen hat die Poelchau-Oberschule in Charlottenburg selber die Initiative ergriffen und bietet zahlreiche Sport-Arbeitsgemeinschaften ab dem kommenden Schuljahr an. Das Interesse ist so groß, daß sich die Schule um ausbleibenden Nachwuchs keine Sorgen mehr machen muß.

Auch der Spitzensport wird in diesem Jahr zur Ader gelassen. Für Großveranstaltungen wie Marathon, Eisschnellauf-Weltcup oder die Champions-Trophy der Hockeyfrauen sind statt drei Millionen wie im letzten Jahr nur noch 1,9 Millionen Mark übrig. Willkommen sind nur noch Sportereignisse, die sich finanziell selbst tragen.

Daß sich der Senat damit ins eigene Fleisch schneidet, ist hier besonders offensichtlich. Gerade die Topereignisse des Sports haben das Image der Stadt bislang aufpoliert und für internationales Publikum gesorgt. Daß die sportlichen Höhepunkte künftig rar gesät sind, geht auch zu Lasten der neuen Sporthallen im Ostteil der Stadt, die nach einer Auslastung durch Großveranstaltungen geradezu schreien.

Gerade bei den Prestige-Anlagen wurde in den letzten Jahren kräftig geklotzt. Allein die Baukosten für die neue Max-Schmeling- Halle, das Velodrom und die neue Schwimmhalle belaufen sich auf insgesamt rund 800 Millionen Mark. Die Betriebskosten für diese Sportstätten, deren Planung im Rahmen der Olympia-Bewerbung entstanden ist, sind ebenfalls erheblich, sie liegen jeweils jährlich zwischen vier und fünf Millionen Mark. Von den zukünftigen Betreibern der Hallen wird erwartet, daß die Summen in möglichst großem Umfang wieder eingenommen werden. Wie das geschehen soll, ist jedoch unklar, hat doch bereits das Sechs-Tage-Rennen im neuen Velodrom gezeigt, daß man auch mit einer vollen Halle nicht unbedingt schwarze Zahlen schreibt.

Überlegt wird derzeit, ob Star- Mannschaften wie Alba Berlin künftig für ihre Spielaustragungen Miete zahlen sollen, um die Folgekosten der Max-Schmeling-Halle ein wenig zu drücken.

Besonders teuer wird die neue Schwimmhalle an der Landsberger Allee, die mit erheblicher Verzögerung 1999 ihre Pforten öffnen soll. Hier werden die Baukosten allein bei über 250 Millionen Mark liegen. Der Landessportbund, der von Anfang an den Bau für überflüssig gehalten hat, befürchtet nun, daß die laufenden Kosten auch noch die ohnehin leeren Subventionstöpfe für den Breitensport belasten.

Nicht nur beim LSB hätte man es lieber gesehen, wenn statt des Neubaus das Friesen-Schwimmstadion saniert worden wäre. Statt dessen gingen dort im Januar die Lichter aus, um rund 2 Millionen Mark Sanierungskosten einzusparen. Vereine, die dort bislang trainiert haben, müssen nun eine zweijährige Durststrecke überstehen bis die neue Halle im Prenzlauer Berg fertig ist.

Damit die Kürzungen im Sport nicht ins Uferlose geraten, haben sich auch LSB und Vereine unterdessen Gedanken gemacht. So sollen künftig vakante Posten für Platzwarte nicht mehr besetzt werden, Vereine würden sich dann zum Teil selbst um die Sportanlagen kümmern. Nach Berechnungen des LSB ließen sich auf diese Weise langfristig 4,5 Millionen Mark einsparen. Den Überlegungen des Senats, die Pacht für die Sondersportflächen weiter heraufzusetzen, halten die Sportfunktionäre den Vorschlag entgegen, die Flächen den Vereinen günstig zum Kauf anzubieten. Betroffen wären rund 200 Grundstücke mit Sportarten wie Rudern, Tennis, Reiten oder Segeln.

Daß die Sportförderung in den letzten Jahren um 40 Prozent gesunken ist, macht den LSB nervös. Die Finanzsenatorin wird als sportfeindlich bezeichnet, und anklagend zeigt man auf das Ressort Kultur, das um einiges besser dasteht. So ist die Subvention von gleich drei Opernhäuser dem LSB ein Dorn im Auge.

Doch auch im Sport wird derzeit noch so manche Mark verschleudert. So wird das Deutsche Olympische Institut (DOI) seit Jahren mit rund 300.000 Mark subventioniert, ohne daß dort bislang nennenswerte Forschungen zustande gekommen sind. Das Überbleibsel aus den Tagen der Olympia-Bewerbung war ursprünglich gegründet worden, um ein Forum für internationales Sportprojekte zu kreieren. Doch von Anfang an war das Institut eher von personellen Querelen gebeutelt als von wirklichen Taten.

Als nächstes Großprojekt dürfte das Olympia-Stadion demnächst für politischen Wellenschlag sorgen. Dort steht eine Grundsanierung an, die insgesamt über 600 Millionen Mark kosten wird. Zumindest hat dies ein aktuelles Gutachten ergeben. „Da werden nur die Fassaden stehenbleiben“, so Sportabteilungsleiter Jürgen Kießling.

Bevor es aber soweit ist, stehen noch Verhandlungen zwischen Bund und Land Berlin an. Letzteres hat eine Kaufoption in Höhe von 166,3 Millionen Mark in der Tasche. Soviel ist man angesichts der Sanierungskosten aber nicht mehr bereit zu zahlen. Also versucht sich der Senat wieder mal im Preisboxen und hofft mit möglichst geringem finanziellem Einsatz ins Geschäft zu kommen.