Algeriens Frauen fordern ein neues Familiengesetz

■ Islamisten kündigen Widerstand gegen Veränderung des FLN-Werkes an

Madrid (taz) – Das algerische Parlament ist noch nicht einmal gewählt, da hat es schon seinen ersten Tagesordnungspunkt: das seit seiner Einführung 1984 umstrittene Familiengesetz. Auf Wunsch der Frauenverbände soll es jetzt überprüft werden. In der vergangenen Woche beschloß der Ministerrat die Einsetzung einer Expertenkommission zur Vorbereitung der Parlamentssitzung.

„Algeriens Frauen – ewige Minderjährige“, bringen algerische Feministinnen ihrer Kritik am gültigen Gesetz auf einen Nenner. „Die Ehefrau muß ihrem Mann gehorchen und die Ehrerbietung erweisen, die ihm als Oberhaupt der Familie zukommt“, heißt es da. Polygamie ist ausdrücklich erlaubt, Frauen dürfen keine Nichtmuslime ehelichen und grundsätzlich brauchen sie zur Heirat einen männlichen Vormund. Das Recht auf Scheidung hat nur der Mann.

Das eng an das islamische Recht, die Scharia, angelegte Gesetz von 1984 markierte das Ende der fortschrittlichen Ära der Nationalen Befreiungsfront (FLN). Nach dem Tod des historischen Staatspräsident Houari Boumedienne 1978 hatte in der Einheitspartei der islamistisch-arabische Flügel die Oberhand gewonnen. Heute sehen viele AlgerierInnen darin die Geburtsstunde des Islamismus in ihrem Land. So verweist die mittlerweile im französischen Exil lebende Frauenrechtlerin Khalida Messaudi darauf, daß etliche der damaligen Verfechter des Familiengesetzes später ihren Weg aus der FLN in die Islamische Heilsfront (FIS) fanden.

„Im Grunde haben wir heute die gleichen Machthaber wie damals“, sagt Nadscha Bumenschel, Frauensekretärin der oppositionellen Front Sozialistischer Kräfte (FFS). Für sie hat sich an der ideologischen Mischung, die Algerien in den achtziger Jahren bestimmte, nicht viel geändert. Als Beweis dienen ihr die zwei Vertreter der gemäßigt-islamistischen Hamas in der aktuellen Regierung.

Hamas und die ebenfalls religiös geprägte an-Nahda haben erbitterten Widerstand gegen „jedwede Veränderung“ des Familiengesetzes angekündigt. „Die Vorschläge richten sich eindeutig gegen die Gebote der islamischen Religion und das kulturelle Erbe der algerischen Nation“, heißt es in einer Erklärung von an-Nahda. Die Hamas nahestehende Vereinigung al-Irscha wa-al-Islah (Religiöse Orientierung und Reform) hat gar angekündigt, drei Millionen Unterschriften zur Verteidigung des aktuellen Gesetzes zu sammeln. Die Vereinigung hofft auf Unterstützung jener Gruppen, die im Dezember 1989 zur Verteidigung der islamischen Werte einen Marsch zum Parlament organisierten. Mit über 100.000 Teilnehmerinnen war dies die größte Frauendemonstration Algeriens.

Auch wenn bezweifelt wird, daß es den Behütern des aktuellen Familiengesetzes tatsächlich gelingen wird, drei Millionen Unterschriften zu sammeln – sie haben genug gesellschaftliche Bedeutung, um sich Gehör zu verschaffen. Hamas und an-Nahda bilden zusammen mit dem orthodoxen Flügel der FLN und der neugegründeten Nationalen Demokratischen Versammlung (RND), die sich eine bedingungslose Unterstützung von Präsident Liamine Zéroual auf ihre Fahnen geschrieben hat, den Block der Kräfte, die auch nach den für Anfang Juni vorgesehenen Parlamentswahlen die Regierung bilden sollen – so wünschen es sich zumindest das Militär und Staatschef Zéroual. „Der Präsident wird deshalb nach den Wahlen einen Rückzieher machen und das Gesetz unangetastet lassen“, prophezeit Nadscha Bumeschel, die eigentlich überhaupt keine Gesetzesreform will: „Ich bin für die Abschaffung des Familiengesetzes. Algerien braucht ein Zivilgesetz, in dem die Pflichten und Rechte aller festgelegt werden, ohne Unterschied der Geschlechter.“ Reiner Wandler