: In Bremen geht's auch andersrum
In der Hansestadt dürfen Biker viele Einbahnstraßen ganz offiziell in beiden Richtungen befahren. Die Sonderregelung hat sich nach Ansicht von Verkehrsexperten bewährt ■ Von Helmut Dachale
Marcel M. kennt weder Einbahnstraßen noch Angst. Zumindest nicht im Straßenverkehr, behauptet er. „Als Fahrradfahrer komme ich überall durch. Warum sollte ich mich gerade durch ein rotes Schild abschrecken lassen, das doch nur für Autofahrer eine Bedeutung hat?“
Marcel M. wohnt in Bremen, und das rote Schild ist dort womöglich häufiger zu finden als in Berlin. Zahlreiche der engen Gassen im Bremer Zentrum und viele Wohnstraßen in den ruhigeren Lagen sind Einbahnstraßen, an einem ihrer Enden steht ebendieses Verbotsschild und sagt: Pech gehabt, die wunderschöne Direktverbindung ist hier unterbrochen.
Tina Fried ist immer noch erstaunt, wie viele Einbahnstraßen Bremen hat. Bis vor zwei Jahren in Berlin zu Hause und bis dahin täglich mit dem Rad auf den breiten Straßen unterwegs, hat auch sie mittlerweile gelernt, das Durchfahrtsverbotszeichen zu ignorieren: „Würde ich das nicht machen, müßte ich weite Umwege in Kauf nehmen.“ Doch wohl ist ihr dabei nicht, nach wie vor fürchtet sie die ihr entgegenkommenden Motorisierten: „Eigentlich sind die Autofahrer in Bremen genauso rücksichtslos wie die in Berlin.“
Marcel M. meint jedoch, daß Biker beim illegalen Durchqueren von Einbahnstraßen weniger Gefahren ausgesetzt seien als beispielsweise auf unübersichtlichen Kreuzungen: „Man sieht sich rechtzeitig, und fürs Fahrrad ist überall Platz genug.“ Außerdem profitieren Bremens Radfahrer von Sonderregelungen: Etliche Einbahnstraßen dürfen von ihnen ganz offiziell in beiden Richtungen passiert werden. Ein kleines Schild mit einem Fahrrad und dem Wörtchen „Frei“, sowohl unter dem Einbahnstraßen-Pfeil plaziert als auch neben dem Verbotsschild am anderen Ende der Straße, macht's möglich. Nun sind manche Zusatzschilder allerdings arg winzig geraten, werden insofern von Rad- wie Autofahrern schon mal übersehen. Macht nichts, meint Marcel M., er fährt sowieso durch jede Einbahnstraße. Aber die Schilder seien immerhin ein behördliches Eingeständnis, daß das Durchfahrtsverbot für Radfahrer grundsätzlich unsinnig sei.
Dieser Ansicht sind anscheinend Millionen von Radlern bundesweit. Vor dieser Anarchie haben nach dem Vorreiter in Bremen zahlreiche weitere Städte und Gemeinden kapituliert und die eine oder andere Einbahnstraße in eine sogenannte „unechte“ umgewandelt. Hier wird nicht nur das Verbotsschild mit dem Ausnahmehinweis garniert, sondern auf der anderen Seite auch gleich das blauweiße Pfeilschild abmontiert. Ortsunkundige Autofahrer wissen in solchen Fällen gar nicht, daß sie sich in einer Einbahnstraße befinden, haben demnach auch gar keinen Grund, ihnen entgegenkommende Biker zu verfluchen oder sie mit ihrer Blechkiste zu bedrängen.
Solche Regelungen fordern der ADFC und andere fortschrittliche Verkehrsinitiativen seit Jahr und Tag. Und zwar nicht als Ausnahme, sondern als Standardlösung. Matthias Wissmann, Verkehrsminister in Bonn, ist dagegen. Zwar versprach er kürzlich, den Radverkehr sicherer machen zu wollen, aber die Öffnung der Einbahnstraßen in beide Richtungen will er den Radfahrern nicht gewähren. Wenigstens nicht durch eine bundesweit gültige Änderung der Straßenverkehrsordnung. Bleibt alles beim alten, bedeutet das weiterhin: Fahrradfahrer, kommst du an eine Einbahnstraße, halte Ausschau nach dem kleinen Ausnahmeschild. Und wenn du es nicht finden kannst, dann – empfiehlt Marcel M. – weck den Anarchisten in dir. Augen auf und durch.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen