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Ostern als Event

■ Die Kirchen setzen auf neue Formen, um Gläubige zu halten. Manche Kritiker fordern gar den "totalen Kundenkontakt"

Berlin (taz) – Otto Graf Lambsdorff ist religiöser Eifer fremd. So scheute sich der FDP-Politiker kürzlich nicht, just während der christlichen Passionszeit auszusprechen, was die meisten evangelischen oder katholischen Funktionäre nur ungern zugeben mögen: Kirche habe an Gewicht verloren.

Morgen, am Ostersonntag, wenn weltweit Christen die Auferstehung ihres Messias feiern, wird diese Beobachtung indes verwischt: Wie immer an Feiertagen werden die Gotteshäusern gut besucht sein. Doch der Eindruck täuscht: Ostern gilt gerade unter jungen Christen nicht mehr als Zäsur nach dunkler Leidenszeit, sondern als Event, als Ereignis, das man nicht versäumen soll.

Den Rest des Jahres – bis auf Weihnachten – bleiben die Bibeln unberührt in den Kirchenschiffen liegen: Einer Umfrage des Leipziger Instituts für Marktforschung unter jungen Ostdeutschen belegt die schwindende Attraktivität der beiden deutschen Hauptkirchen. Nur jeder fünfte Befragte nennt sich konfessionell gebunden. Krasser noch: Den allermeisten Interviewten ist sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche völlig gleichgültig. Ähnliche Trends werden auch aus dem Westen der Republik vermeldet. Allein aus der nordelbischen Kirche (Hamburg und Schleswig-Holstein) traten 1996 36.000 Menschen aus und befreiten sich damit zugleich von der Pflicht, Kirchensteuer zu zahlen. In den ostdeutschen Landeskirchen werden in den nächsten Jahren mehr als 30 Prozent aller kirchlichen Stellen gestrichen; in einigen Zweigen haben sich Pastoren darauf verständigt, auf einen Teil ihres Gehalts zu verzichten, um jungen Theologen den Einstieg in den Pastorenberuf zu ermöglichen. Kircheninterne Finanzverantwortliche sagen voraus, daß im Falle der anvisierten Steuerreform beide Hauptkirchen etwa mit 25 Prozent Einnahmeausfällen rechnen müßten.

Dabei ist die Krise der Kirche längst keine Krise der Religiosität – diese sieht Missionswissenschaftler Klaus Schäfer aus Hamburg gar wachsen. Doch die evangelische Kirche sei noch nicht in der Lage, auf die „Tendenzen der Individualisierung, auf Ängste wegen Arbeitslosigkeit und Beziehungsschwierigkeiten“ zu reagieren. Zulauf erhalten zunehmend Charismatiker und Sekten, die aus alten mystischen Traditionen schöpfen und Religion noch als Geheimnis zelebrieren. Schäfer plädiert für „neue Formen des Gottesdienstes, die die Menschen auch wieder sinnlich ansprechen“. Deutschlands populärster Theologe, Talkmaster und Pastor Jürgen Fliege, sieht in solchen Überlegungen den richtigen Weg: „Die Amtskirche wirkt staubig und den Menschen fern.“

Wie Fliege, dessen körpernahes, predigerhaftes Gebaren von vielen Kollegen als peinlich empfunden wird, denkt auch der Marburger Sozialethiker Wolfgang Nethöfel. Auf der jüngst in Hamburg abgehaltenen Tagung „Unternehmen Kirche“ forderte er von Pastoren den „totalen Kundenkontakt“. Unterstützung fand er ausgerechnet bei den Beratern der Consultingfirma McKinsey. Sie hatte herausgefunden, was die Amtskirche verstören muß: Christen erwarten von ihrer Kirche nicht so sehr Engagement im Sozialen, sondern geistlichen Beistand – zu Ostern, zu Weihnachten, auf dem Sterbebett und vor der Trauung. Pastor Reinhard Dierks aus Hamburg, der sich für diese Idee ausspricht, glaubt an eine „neue Spiritualität“. Der Staat könne die Sozialarbeit übernehmen – Zuspruch könnte die Kirche jedoch nicht delegieren: Das sei kein Plädoyer für Innerlichkeit, sondern für eine „Verkündigung, die diesen Namen auch verdient“. Auf dem Leipziger Kirchentag Mitte Juni wird auch um diese Fragen gestritten: Das wird dann nicht sehr friedlich zugehen, aber die evangelische Kirche hat längst keine Wahl mehr. Jan Feddersen

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