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Alarmismus aus Ankara

■ Brandanschläge: Türkische Medien beschuldigen Kohl

Die Hintergründe der jüngsten Brandanschläge auf türkische Familien sind noch nicht geklärt. Aber das hindert türkische Kommentatoren nicht, die „Brandstifter“ bereits beim Namen zu nennen. Dabei, so scheint es, werden die neun Brandopfer aus Den Haag und Krefeld zur Begleichung offener Rechnungen mißbraucht. Für den vom Westen nicht gerade geachteten islamistischen Ministerpräsidenten Erbakan ist „der Westen“ schuld, der seine Kinder zum Haß auf den Islam erziehe. Für bürgerlich-liberale Kreise dagegen heißt der Verantwortliche Helmut Kohl. Schließlich hat der kürzlich behauptet, die Türken gehörten nicht zur Zivilisation Europas.

Es wäre allerdings blauäugig, die überzogenen Reaktionen alleine auf gekränkte Eitelkeiten zu reduzieren oder sie als Versuch zu interpretieren, durch heftige Beschuldigungen Deutschlands von eigener (demokratischer) Unzulänglichkeit abzulenken. In den Verbalattacken drückt sich auch das ganze Dilemma der deutsch-türkischen Beziehungen aus.

Warum sollte die türkische Öffentlichkeit der Regierung Helmut Kohl auch nur ein Quentchen Vertrauen entgegenbringen? Einer Regierung, die mit der Aktivierung antitürkischer Ressentiments 1983 die Wahl gewann. Das ist nicht vergessen. Warum sollten die Deutschtürken bundesdeutschen Ermittlungsbehörden vertrauen? Unvergessen ist deren Zögern während der rassistischen Übergriffe in den frühen neunziger Jahren. Und warum sollten die Migranten den rechtsstaatlichen Beteuerungen der Bundesregierung glauben, wenn sie gleichzeitig die Erfahrung machen, daß diese die staatsbürgerliche Gleichstellung der Migranten nicht wirklich interessiert?

Die alarmistische Tonlage in der türkischen Öffentlichkeit ist nicht zuletzt eine Reaktion auf die Coolness, mit der die bundesdeutsche Öffentlichkeit inzwischen auf Brandanschläge reagiert. Vielen Deutschtürken ist keineswegs entgangen, daß der Brandanschlag in Lübeck für die bundesdeutsche Gesellschaft wie ein Befreiungsbrand wirkte. Endlich sitzen nicht mehr „die Deutschen“, sondern ein Libanese auf der Anklagebank. Es war ein so „befreiendes“ Gefühl, daß man sogleich die einwanderungspolitische Diskussion abbrach und zum business as usual zurückkehrte. Eberhard Seidel-Pielen

Bericht Seite 11

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