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Renault muß Betriebsrat fragen

Vorher darf der Autokonzern das Werk Vilvoorde nicht schließen, urteilen belgische Richter. Arbeiter warfen mit Eiern auf EU-Gebäude  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Belagerungszustand im Euroviertel: EU-Kommission, Ministerrat und Europaparlament verschanzen sich gemeinsam hinter Polizeiwannen und spanischen Reitern. Angestellte, die zum Mittag ins Restaurants wollen, müssen im feinen Zwirn über Stacheldraht klettern. Etwa 1.000 Renault-Arbeiter, die gegen die Werksschließung im belgischen Vilvoorde protestieren, warfen Eier auf die Gebäude der EU in Brüssel, von der sie Unterstützung fordern.

Seit die Renault-Zentrale am 27. Februar in Paris ankündigte, noch diesen Sommer die Autoproduktion in Vilvoorde einzustellen, wird Belgien für den Automobilkonzern zum heißen Pflaster: Den gestrigen Protesten eines Teils der 3.100 Arbeiter, die ihren Job verlieren werden, haben sich nicht nur belgische Politiker, sondern auch EU-Kommissare angeschlossen.

Vorgestern erklärte das Brüsseler Arbeitsgericht, daß Renault gegen belgisches Recht verstieß. Die Richter verurteilten jedoch nur die Art, wie die Massenkündigungen durchgezogen wurden. Danach habe Renault den Tarifvertrag verletzt und gegen ein Gesetz verstoßen, das bei Massenentlassungen die vorherige Beratung mit dem Betriebsrat vorschreibt. Das Gesetz verlangt von Unternehmen, daß sie innerhalb einer „vernünftigen Frist“ mit dem Betriebsrat über die soziale Abfederung der Entlassungen sowie über Möglichkeiten verhandeln, zumindest einen Teil der Arbeitsplätze zu erhalten. Beides unterließen die Renault-Chefs.

Die Gewerkschaften wollten auch die Frage prüfen lassen, ob der Konzern überhaupt das Recht hat, ein rentables Werk wie das in Vilvoorde zu schließen. Dem kam das Gericht aber nicht nach. Die Gewerkschaften verdächtigen die französische Regierung, die knapp unter 50 Prozent der Renault-Anteile kontrolliert, belgische Arbeitsplätze zugunsten französischer zu opfern.

An der fehlenden Beteiligung des Betriebsrates hatten sich schon die für Wettbewerb und für Soziales zuständigen EU-Kommissare Karel van Miert und Padraig Flynn gestoßen. Doch weder die Kommissare noch das Arbeitsgericht sahen Möglichkeiten für Sanktionen. Die Renault-Leitung in Paris bestätigte nach dem Urteilsspruch, daß „Generaldirektor Louis Schweitzer an seinen Absichten unverändert“ festhalte. Die Gerichtsentscheidung könnte aber den Zeitplan von Renault durcheinanderbringen. Denn egal, ob der Konzern Berufung einlegt oder dem Gericht folgt und die Verhandlungen mit dem Betriebsrat von vorne beginnt, er verliert Zeit und muß möglicherweise die Schließung des Werkes einige Wochen aufschieben. Mehr Sorgen dürfte dem französischen Konzern allerdings die Solidarität der Belgier machen, die dem Boykottaufruf gegen Renault folgen. Nach Angaben belgischer Händler sind die Verkäufe von Renault in Belgien im März um 43 Prozent zurückgegangen. An vielen Heckscheiben hängen Zettel: „Das ist mein letzter Renault.“

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