Regierungsstudie macht den Klimaschutz teuer

■ Wuppertal Institut kritisiert die Wirtschaftsforscher von RWI und ifo

Berlin (taz) – 275.000 Arbeitsplätze gehen langfristig verloren, 850 Milliarden Mark müssen in die Wärmeschutzsanierung von Deutschlands Altbauten gesteckt werden, wenn Kanzler Kohl sein Klimaschutzziel bis 2005 einhalten will. So warnten im vergangenen Jahr das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) und das ifo-Institut in einer Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums. „Eine zeitliche Streckung der Minderungsziele“ dürfe daher „kein Tabu“ sein, um „ökonomische Verwerfungen zu vermeiden“.

Die grüne Bundestagsfraktion hat das RWI/ifo-Gutachten einer Prüfung durch das Wuppertal Institut unterziehen lassen. Ergebnis: „Die in der Studie errechneten negativen Auswirkungen sind vor allem auf die unausgewogene Gestaltung der Maßnahmen durch die Gutachter zurückzuführen.“ Im Gegenteil böten „gerade für Arbeitsplätze Klimaschutz- und Energiesparmaßnahmen eine große Chance“, ergänzte Peter Hennicke vom Wuppertal Institut gestern bei der Vorstellung seiner Gutachten-Schelte in Bonn. So erwähnt das RWI/ifo-Gutachten nicht einmal Ergebnisse der Klima-Enquetekommission, die einen Zuwachs von 90.000 Jobs durch gezielten Klimaschutz errechnete.

„Erstmals seit der Wiedervereinigung stieg vergangenes Jahr die Kohlendioxidemission“, sagte Michaele Hustedt, umweltpolitische Sprecherin der Grünen. „Die RWI/ifo-Studie ist der Morast, aus dem das Wirtschaftsministerium eine Reduktion des Klimaschutzzieles vorbereitet.“

Laut der Wuppertaler Analyse haben die Gutachter bei fast jeder Grundannahme möglichst schlecht geschätzt: Den Bevölkerungszuwachs setzen sie höher an als alle vergleichbaren Gutachten. Die Rohölkosten steigen bei ihnen nur wenig, sparsame Autos erleben keinen Durchbruch, dafür steigen die Zinsen in den Szenarios höher als anderswo angenommen, und die Energiesparmaßnahmen sind bei den RWI/ifo-Gutachtern besonders teuer.

Beinahe abenteuerlich aber wird das RWI/ifo-Gutachten nach Ansicht der Wuppertaler, wenn es die möglichen Anstrengungen zur Erreichung des Klimaschutzzieles untersucht. Gerade zwei Maßnahmen berücksichtigten die Wirtschaftsforscher: den Ausbau der Wärmedämmung in Altbauten und die Förderung der effizienten Kraft-Wärme-Kopplung in der Energieversorgung. Weil die zwei Maßnahmen allein schwerlich ausreichen, setzten ifo und RWI ein „unsinniges Crash-Programm“ an, kritisieren die Wuppertaler. Demnach sollten alle rund 20 Millionen Altbauten bis 2005 auf den Wärmedämmstandard von Neubauten gebracht werden. „Um zu erkennen, daß das zu ,ökonomischen Verwerfungen‘ führt“, sagt Hennicke, „braucht man keine Studie, dazu reicht der gesunde Menschenverstand.“

Zusätzlich machten die Wirtschaftsforscher Fehler: So veranschlagten sie für die nötige Investition der Energieversorger in die Kraft-Wärme-Kopplung auf 4,5 Milliarden Mark im Jahr, weil insgesamt Kraftwerke mit 14.500 Megawatt Leistung neu gebaut werden müßten. Daß die Stromkonzerne ohnehin neue Kraftwerke mit 11.000 Megawatt bis 2005 planen, berücksichtigten ifo und RWI nicht – und schätzten die Kosten so viermal höher als tatsächlich nötig.

Daß die Wirtschaftsforscher nur zwei Maßnahmen im sogenannten Enquete-Szenario zur Verminderung der Treibhausgase prüften, obwohl die Enquetekommission selbst über 100 Einzelmaßnahmen vorschlug, begründet das RWI. „Die Auswahl dieser beiden Maßnahmen war vom Auftraggeber gewünscht“, sagte die Gutachterin Ulrike Lehr zur taz, „so ist das halt bei Aufträgen.“ Daß die vorgeschlagenen Crash-Programme „Maximalprogramme“ waren, sei ihnen auch klar gewesen, daher habe man ja auch eine Aufschiebung des Klimaschutzzieles empfohlen. Das Wuppertal Institut hingegen hält das Klimaschutzziel nach wie vor für erreichbar. Matthias Urbach

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